Die Weltmeisterin im Springreiten und ihre Tücken mit Alice im Wunderland

Die Deutsche Simone Blum hat vor zweieinhalb Monaten überraschend den WM-Titel im Springreiten gewonnen – als erst zweite Frau überhaupt. Doch seither scheint sie vom Pech verfolgt. Am CHI in Genf hofft sie, das gute Gefühl wiederzufinden.

Marco Ackermann, Genf
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Simone Blum hatte ob des ganzen Rummels noch keine Zeit, den WM-Triumph zu geniessen. (Bild: Lynn Hey / AP)

Simone Blum hatte ob des ganzen Rummels noch keine Zeit, den WM-Triumph zu geniessen. (Bild: Lynn Hey / AP)

Es ist nur zweieinhalb Monate her, da hatte Simone Blum für eine der grössten Überraschungen in der Historie des Pferdesports gesorgt. Als Nummer 142 der Weltrangliste, im Alter von nur 29 Jahren und als erst zweite Frau überhaupt gewann die Deutsche den WM-Titel im Springreiten.

Als Blum am Freitag nun am CHI in Genf an einem Tischchen sitzt, scheinen diese goldenen Tage nur noch eine blasse Erinnerung zu sein. Die Reiterin wirkt ein wenig mitgenommen. Ihr Lächeln, das gemacht wäre für eine Zahnpasta-Werbung, ist seltener auf den Lippen zu sehen. Und nach dem Eröffnungsspringen in der Palexpo-Halle sagt sie: «Seit ich Weltmeisterin geworden bin, war das mein erster Parcours, in dem ich wieder befreit reiten konnte.»

Zu viel des Rummels

Auf Blum ist in den vergangenen Wochen einiges eingeprasselt. Hier ein TV-Auftritt, da eine Ehrung, und irgendwo dazwischen musste auch noch die Hochzeit Platz finden. Die Geschichte war ja auch zu toll, ja fast märchenhaft. 2016 hatte Blum ihren Sport noch als Hobby ausgeübt. Damals hatte sie ein Masterstudium in Biologie und Chemie abgeschlossen und sich auf einen Job als Lehrerin eingestellt. Doch dann ging es mit der Reitkarriere so steil aufwärts, dass sie sich unverhofft an der nationalen Spitze wiederfand – und der Zeitpunkt dafür war günstig.

Die Fans schickten ihr so viele Mangos für Alice, dass das Tier mit dem Essen der Leibspeise gar nicht mehr nachkam.

Im deutschen Kader hatte es gerade Unstimmigkeiten zwischen dem Equipenchef Otto Becker und einigen arrivierten Reitern gegeben. Blum rutschte im letzten Moment ins WM-Team. Und als sie dann in Tryon ihre temperamentvolle Stute Alice ohne einen einzigen Abwurf durch die fünf Runden führte, hatte eine Zeitung schnell den passenden Titel zur Hand, er lautete: «Mit Alice im Wunderland». Die Fans schickten ihr so viele Mangos für Alice, dass das Tier mit dem Essen der Leibspeise gar nicht mehr nachkam.

Für Blum, die zierliche und bodenständige Frau vom Lande, war das zu viel des Rummels. Ob all der Verpflichtungen hatte sie nur noch halb so viel Zeit für ihr sensibles Pferd. Das blinde Verständnis zwischen den beiden litt darunter, was sich an den Turnieren bemerkbar machte. Am Weltcup in Verona erlitt das Paar einen bösen Sturz. Und die Pechsträhne sollte nicht abreissen. Blum kugelte danach gleich zweimal bei alltäglichen Bewegungen die Schulter aus. Das Problem ist inzwischen so akut, dass sie sich in der nächsten Woche operieren lässt. Die Hochzeitsreise wurde verschoben. Mit dem Springreiten muss sie wohl drei Monate aussetzen. Und so kommt Blum mit Bitterkeit in der Stimme zur Erkenntnis: «Die Zeit, meinen WM-Triumph zu geniessen, kommt wohl erst im nächsten Jahr.»

Die Kämpferin

Was bedeutet das für ihre Karriere: Wird ihr Stern so schnell untergehen wie er aufgegangen ist? Dagegen spricht, dass Blum seit jeher eine grosse Kämpferin ist. Sie ist eine, die sich nicht unterkriegen lässt. Mit 19, kurz vor dem Abitur, war sie beim Reiten so heftig gestürzt, dass sie mit einer Hirnblutung ins Koma fiel. Und sicher gibt es günstigere Ausgangslagen, um im deutschen Springsport auf sich aufmerksam zu machen, als wenn man als Reiterin auf einem beschaulichen Hof in der bayrischen Provinz aufgewachsen ist.

Der vielleicht grösste Unsicherheitsfaktor liegt im Beritt. Natürlich ist Alice gegenwärtig eines der wertvollsten Springpferde der Welt. Würde es die Familie Blum verkaufen, könnte sie wohl einen Preis in der Höhe von zehn Millionen Euro herausschlagen und andere Pferde in den Stall holen. Das kommt für Simone Blum aber nicht infrage, zu viel hat sie Alice zu verdanken. Blum sagt, das wäre ja, wie wenn man den Bruder oder die Schwester verkaufen würde.

Doch was passiert, wenn Alice nicht mehr das derzeitige Niveau erreicht? Noch fehlen Blum ein ähnlich starkes Pferd und finanzkräftige Investoren. Und so hat sie vielleicht tatsächlich nur diese eine Chance: Dass sie ein Jungtier ohne grossen Namen zum Discountpreis übernimmt und es zum Spitzenpferd ausbildet – so wie Alice. Nur: Märchen wiederholen sich selten.