Ein „Weißt Du noch …?“-Abend mit Olympiareitern

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Das waren noch Zeiten, als Vielseitigkeit Military hieß und ein Horst Karsten mit Schlägermütze durch den Busch fegte! Erinnerungen daran wurden bei Gabriele Pochhammer anlässlich der Weihnachtsfeier von Lutz Gössing geweckt. Weißt Du noch …?

Fast geschafft! Die letzten Weihnachtskarten müssen noch geschrieben, ein paar Geschenke eingepackt werden. Nicht zu vergessen, die Tannenzweige im Stall zu drapieren, damit auch unsere Pferde wissen, dass Weihnachten ist. Und dann noch herumtelefonieren, ob nicht einer einen braven Esel hat – als Kulisse beim Open Air Gottesdienst auf dem Marktplatz von Eckernförde. Eine Kuh ist schon organisiert, der Pastor hätte gerne auch einen Esel, zur Not tut’s auch ein Pony. Hauptsache ruhig und freundlich. Mal sehen, was sich machen lässt.

Erinnerungen

Die Olympiamannschaft von 1972 (v.l.): Karl Schultz, Horst Karsten, Harry Klugmann, Lutz Goessing.

Die Weihnachtsfeiern sind abgehakt. Eine besonders nette war die von Lutz Goessing in Brockhagen, eigentlich eine nachträgliche Party zum 80. Geburtstag im Mai. Lutz hatte seine Mitstreiter aus alten Tagen eingeladen, als die Vielseitigkeit noch Military hieß und es entsprechend zur Sache ging. Bei solchen Treffen der alten Haudegen steht immer das „Weißt Du noch?“ im Raum. Lutz gehörte bekanntlich 1972 zum Team, das in München die olympische Bronzemedaille gewann, zusammen mit Horst Karsten, Harry Klugmann und Kalle Schultz. Alle vier leben noch und sind gut drauf, anders als das goldene Springreiterteam von 1972. Hans Günter Winkler wurde im Sommer 2018 als letzter des Quartetts begraben, vor ihm gingen Hartwig Steenken, Fritz Ligges, und Gerd Wiltfang. Alle vier Buschis sind auch nach ihrer Karriere dem Pferdesport treu geblieben. Horst Karsten wurde Bundestrainer, internationaler Richter und gefragter Ausbilder. Harry Klugmann blieb über die Zucht bei den Pferden, leitete viele Jahre das Gestüt Tannenhof und war auf Turnieren als Richter unterwegs. Karl Schultz führt zusammen mit seiner Frau Uschi in Ahrensbök einen renommierten Ausbildungs- und Turnierstall.

Und Lutz Goessing hat 1976 vom Busch in den Parcours gewechselt, wurde erst ein erfolgreicher Springreiter (Sieg im Großen Preis von Neumünster mit Rocca), Pferdezüchter und Trainer und vor allem, zusammen mit seiner 2011 verstorbenen Frau Christa, ein großartiger Förderer und Sponsor des Reitsports. Heute freut er sich, wenn in seiner Halle in Brockhagen Tim Rieskamp-Gödeking den Springstall weiter führt, ein Springpferd gehört Lutz immer noch.

Er hatte damals in München den schwierigsten Part. Sein Pferd, der irische Schimmel Chicago, galt – milde ausgedrückt – als dressurmäßig unterbegabt. Nach der Grußaufstellung in der Dressur machte er auf den Hacken kehrt und guckte in die entgegengesetzte Richtung, auch der Rest war nicht viel besser. Übrig blieb einer der letzten Plätze. Mit einem fulminanten Nullfehlerritt im Gelände rettete Goessing die Medaille, wurde am Ende in der Einzelwertung 13. Unvergessen auch die Spiele vier Jahre später in Mexiko. Lutz war wieder dabei, diesmal auf einem kurzfristig von Klaus Wagner geliehenen Pferd, Arwed, weil sein eigenes Pferd Rebell verletzt war. Da lief so ziemlich alles schief, angefangen beim Wetter. Jeden Tag um die Mittagszeit ging ein Starkregen über dem Gelände nieder, und verwandelte den kleinen Bach, der durch die Strecke, führte in einen reißenden Strom, in dem die Hindernisse nur noch zu erahnen war.

Das war bekannt, die Reiter konnten es in der Vorbereitungszeit jeden Tag erleben, aber der Veranstalter dachte gar nicht daran, am Zeitplan etwas zu ändern, etwa alle Pferde vor dem Regen oder an zwei Vormittagen starten zu lassen. Es kam wie es kommen musste. Arwed stürzte von einer Brücke, konnte nicht weitergehen, Lapislazuli von Jochen Mehrdorf wurde vom Strom abgetrieben und nur mühsam gerettet. Irgendwie keine Sternstunde des olympischen Vielseitigkeitssports …

Das wäre wohl heute nicht mehr möglich, vorbei die Zeiten, als man nach dem zweiten Sturz noch weiter reiten durfte und erst beim dritten ausschied. Heute ist für Reiter und Pferd die Reise zu Ende, wenn einer von beiden zu Boden geht. Vorbei auch die Zeiten, in denen die Pferde am Ende des Tages mit Wegestrecken und Rennbahn 33 Kilometer in den Knochen hatten. Man muss diesen vergangenen Zeiten nicht nachweinen. Aber seit den vielen Änderungen, die die Vielseitigkeit durchgemacht hat, wie die Streichung von Rennbahn und Wegestrecken, hat die Zahl der schweren Unfälle bis hin zu tödlichen Stürzen kaum abgenommen, trotz allen „Risk Managements“, wie es heute polyglott heißt. Das sollte den Verantwortlichen einige Kopfschmerzen bereiten.

Aber nicht mehr in diesem Jahr. Gerade, was die Vielseitigkeit angehen, schauen wir mit Besorgnis in die nächste Saison. Dann wird man sehen, was von der „Krone der Reiterei“, die mal als Ausdauer- und Härtetest gedacht war, noch übrig ist. Bis dahin: Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Jahr 2019!air jordan 1 mid outlet | nike outlet quarry market

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Horst Müller

    Heutzutage werden die Pferde im Gelände vor Aufgaben gestellt, die sie oftmals gar nicht erkennen können.

    Man braucht den alten Zeiten nicht hinterher zu weinen, könnte aber einmal darüber nachdenken, ob die „Aufwärmphasen“ den Pferden gut getan hatten.

    Fällt man von einem Extrem in das Andere, ist das sicherlich auch nicht gut, werden heute die dressur- und springveranlagten Warmblüter während der Sprinttests, für die sie nicht gezüchtet wurden, im Gelände verschlissen.


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