Pferdesport:Kalte Waschung

Lesezeit: 3 min

Auch für die Pferde wird Tokios Sommerhitze bei Olympia zur Strapaze. Nach einem Härtetest in Japan überlegen die Reiter, die Distanzen zu verkürzen.

Von Gabriele Pochhammer, Tokio

"Das Wetter ist, wie es ist, ändern kann man eh' nichts daran." Der dreimalige Olympiasieger Michael Jung ist pragmatisch angesichts der Bedingungen, die er, seine Kollegen, vor allem aber ihre Pferde bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 vorfinden werden. Beim Probelauf in diesem Jahr, für den sich die Vielseitigkeit am besten eignet, weil alle drei Disziplinen, Dressur, Springen und Gelände, enthalten sind, ging es nicht ums Gewinnen. Das erledigte Jung auf Wild Wave, mit sieben Jahren das jüngste der 16 Pferde, quasi mit links. Vornehmlich war zu testen, ob und wie Pferde und Reiter bei Temperaturen von 40 Grad und mehr Höchstleistung erbringen können. Einhellige Erkenntnis: Die Pferde stecken die Hitze besser weg als die Menschen. "Natürlich schwitzen sie," sagt Jung, "aber das tun wir schließlich auch."

Die äußeren Bedingungen könnten kaum besser sein: Der Equestrian Park mitten in Tokio war 1964 schon Schauplatz olympischer Reitwettbewerbe, die aber damals im kühlen Oktober ausgetragen wurden. 2020 hingegen wird hochsommerliche Hitze herrschen. Medien berichten, dass den hohen Temperaturen in diesem Jahr bereits mehr als 100 Menschen in Tokio zum Opfer gefallen sind.

Für 2020 wurde die olympische Reitanlage komplett neu gebaut, die Pferde sind in Fünfsterne-Ställen untergebracht, mit geräumigen Boxen und hohen Decken. Da wird mancher Olympiabesucher sich in seinem Hotelzimmer beengter einrichten müssen. Und natürlich sind die Ställe klimatisiert. Dabei wurden sie jetzt so gründlich auf 18 Grad heruntergekühlt, dass sich der deutsche Reiter Jan Matthias, 22, als erstes einen Schnupfen einfing. Für ihn war es vor allem eine Bildungsreise: lernen, sehen und zu Hause erzählen, wie's war. Für einen Olympiastart kommt Matthias noch nicht in Frage, im nächsten Jahr wird es eine ganze Kategorie schwerer werden.

Für die Geländeprüfung wurden die Pferde nach der Dressur vom Equestrian Park in anderthalb Stunden zu der Insel Sea Forrest vor der Stadt gefahren. Auf der ehemaligen Müllhalde ist ein grüner, hügeliger Kurs entstanden mit grandiosem Panorama auf die Skyline der 38-Millionen-Metropole. Auch hier wurde das Geläuf perfekt präpariert, die Hindernisse gestaltete der US-amerikanische Aufbauer Derek di Grazia in diesem Jahr sehr freundlich; auf besondere Schwierigkeiten kam es ja nicht an, schließlich waren auch etliche Japaner mit geringer Erfahrung am Start. Aber eines wurde bereits klar: Das wird kein Kurs für weiträumige Galoppierer, eher was für geschickte Pferde, die sich auf kleinem Raum drehen und wenden können.

Die drei deutschen Pferde bei diesem Olympiatest hatte man gezielt ausgesucht, der Trakehner Granulin von Jan Matthias leichtfüßig und edel, der Holsteiner Nobleman von Matthias' Chef Peter Thomsen der etwas kräftigere Typ, Wild Wave von Michael Jung etwa in der Mitte. Nobleman hielt im Gelände als einziger nicht das Zeitlimit ein.

Alle Pferde standen unter penibler medizinischer Überwachung. "Wir machen das bei den Kader-Vielseitigkeitspferden schon seit zehn Jahren", sagte Tierärztin Caroline von Reitzenstein, die das Projekt bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) betreut: "Jetzt fangen wir auch mit den Spring- und Dressurpferden an." Ein Tracker, der die Geschwindigkeit misst, war in die Satteldecke eingebaut, ein Herzfrequenzzähler direkt unter dem Gurt befestigt. Kaum war ein deutsches Pferd in Tokio am Ziel angekommen, der Reiter noch nicht abgesessen, stand die Tierärztin schon mit dem Thermometer bereit, die Prozedur wurde zehn Minuten später wiederholt. In der Zwischenzeit wurden die Pferde kalt abgewaschen und vor Ventilatoren hin und her geführt.

Messungen von Temperatur, Atmung und Pulsschlag führten nun alle Nationen durch, am Ende sollen die Ergebnisse in einer Forschungsarbeit der Internationalen Reiterlichen Vereinigung zusammengefasst werden. Es wird also viel gemessen, zudem müssen Reiter zuhause ein Trainingstagebuch führen. Ziel ist es, Erkenntnisse über Belastungen und mögliche Überlastungen zu gewinnen. "Und dem Reiter ein Gefühl zu geben, wie viel er von seinem Pferd verlangen kann", sagt Reitzenstein. "Alle Werte im grünen Bereich", konnte Bundestrainer Hans Melzer am Ende des Tages auf Sea Forrest melden.

Das war zwar erfreulich, aber nur bedingt aussagekräftig. Denn es war nicht so heiß, wie es in diesem Sommer schon war und im nächsten wieder werden kann. Frühmorgens um neun ging sogar ein Regenschauer über der Insel nieder. Sofort liefen die japanischen Freiwilligen los und verteilten Regenjacken. Eine Stunde später waren die Wolken weg, die Sonne brannte vom Himmel, die Menschen griffen wieder zu den Wasserflaschen, die überall in Wannen mit Eis schwammen und suchten Schutz unter Zeltdächern. 3000 Meter mussten die Pferde diesmal galoppieren, bei Olympia sollte es eigentlich das Doppelte sein. Fraglich, ob es dazu kommt. Denn jetzt schon wurden Stimmen laut, die Strecke zu verkürzen, um zu verhindern, dass Pferde überfordert werden. Um bei Michael Jung zu bleiben: Das Wetter kann man nicht ändern, man kann sich nur anpassen. Der olympische Sport hätte bessere Bedingungen verdient.

© SZ vom 18.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: