Dressurreiter bei EM : Deutsches Gold nach Angst, Zweifel und Pech
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Der nächste EM-Titel: Isabell Werth mit ihrem Pferd Bella Rose. Bild: dpa
Die deutschen Dressurreiter werden mit Leichtigkeit Europameister. Der Vorsprung ist enorm. Meisterin Isabell Werth ist begeistert und spricht ein großes Wort. Doch hinter den Reitern liegen schwere Momente.
Isabell Werth, die Meisterin, sprach das Schlusswort des Tages: „Dies ist wahrscheinlich das stärkste Team, das wir je hatten in Deutschland.“ Ein großes Wort. Als sie es sagte, hatte die Equipe die wohl wahrscheinlichste aller deutschen Goldmedaillen in einem olympischen Sport geliefert. Das hat zwar, mit einigen Unterbrechungen, Tradition, doch fast 15 Punkte – das ist ein dramatischer Vorsprung bei einer Mannschafts-Europameisterschaft. So weit entrückt gewann das Quartett in Rotterdam den 24. Titel seit Einführung der kontinentalen Titelkämpfe im Jahr 1963.
Die beste Leistung der beiden Wettkampftage kam wieder einmal von der Championesse aus Rheinberg mit ihrer erstaunlichen Stute Bella Rose: 85, 652 Prozentpunkte. Das bedeutet persönliche Bestleistung im Grand Prix, der Aufgabe, mit der bei der EM der Teamwettbewerb entscheiden wird. Platz zwei belegten die jubilierenden Gastgeber Niederlande, Dritte wurden die Schweden. Ein glanzvoller Triumph, trotz aller Vorhersagbarkeit, für Werth und ihre Mitstreiter Dorothee Schneider (Framersheim) auf Showtime, Sönke Rothenberger (Bad Homburg) auf Cosmo und Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera.
Die unglücklichste Mannschaft in Rotterdam kam am Dienstag aus Großbritannien, die einzige, die einen gewissen Druck auf die Deutschen ausübte. Ihr großer Star, die dreifache Olympiasiegerin Charlotte Dujardin, wurde nach einer hervorragenden Runde wegen Blutspuren an der linken Flanke ihrer Stute Freestyle disqualifiziert. Eine solche Entdeckung beim obligatorischen Check nach einer Prüfung führt automatisch zum Ausschluss. Dujardin hätte das zweitbeste Ergebnis der Prüfung geliefert. Statt einer Silbermedaille entgegen zu nehmen, landeten die Briten auf Rang vier. Statt ihre Medaillenchancen im Wettbewerb um die beiden Einzeltitel zu verfolgen, war Dujardin raus. So überlegen der Eindruck am Ende war, den die Deutschen machten, zeigt die Chronik einer angekündigten Goldmedaille doch: Ohne Kampf ging es nicht, schon, weil einige der stärksten Gegner in der eigenen Mannschaft reiten und jeder sich – neben der sicheren Mannschaftsleistung – eine gute Ausgangsposition für die Einzelwettbewerbe schaffen wollte.
Nur Isabell Werth und Bella Rose, den aktuellen Weltmeisterinnen, gelang im Grand Prix eine souveräne, fehlerfreie, ja fast genießerische Vorstellung. Und schaut man weiter zurück, so haben zumindest drei von vier der deutschen EM-Pferde eine Krankengeschichte hinter sich. Bella Rose musste wegen eines Knochen-Ödems fast vier Jahre pausieren, nachdem sie 2014 wie ein Komet am Dressur-Himmel aufgegangen war. Es kostete viel Kraft und Aufwand, sie nicht nur wiederherzustellen, sondern fit für den großen Sport zu machen, doch das hat Isabell Werths Verhältnis zu ihrem Traumpferd nur noch weiter vertieft.
Der Wallach Showtime galt 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro als das Dressur-Pferd der Zukunft. Es folgten zwei Jahre Pause, eine Zeit der Zweifel und Ängste für die Reiterin Dorothee Schneider. Ihre Augen werden feucht, wenn sie davon spricht – und von ihrer Erleichterung, dass der Wallach von seiner nicht weiter erläuterten Verletzung wieder genesen ist. In Rotterdam hatte er lediglich mit seinem Nervenkostüm zu tun, Dorothee Schneider musste mit gebremstem Risiko reiten und erzielte trotzdem die Top-Note von 80,233 Prozentpunkten. Das soll bei der EM noch lange nicht alles gewesen sein. „Er kann noch viel besser piaffieren“, sagte sie. Und das werde er auch. Er kann es das nächste Mal beim Grand Prix Special am Donnerstag beweisen.
Dann will sich auch der Bad Homburger Sönke Rothenberger mit seinem Wallach Cosmo steigern. Den Grand Prix ritt er mit gebremstem Risiko, trotzdem verpatzte er die zweite Galopp-Pirouette und blieb mit 79,084 Prozentpunkten unter der magischen Achtziger-Grenze. Es war immer noch das drittbeste Resultat insgesamt. Rothenberger und seine Familie, die am liebsten hinter dem Berg halten mit den Wehwehchen des Wallachs Cosmo, mussten sich in den vergangenen Wochen mit unangenehmen Enthüllungen auseinandersetzen. Hintergrund ist ihre Klage gegen eine Tierklinik wegen angeblicher Fehlbehandlung mit dem Medikament Tildrin. Dieses Mittel härtet die Knochensubstanz, allerdings kann es die Nieren angreifen. Acht (von angeblich achtzig) Behandlungen hat Rothenberger eingeräumt. Das Gericht legte den Streitwert, bei dem es um die Wertminderung des Pferdes geht, auf acht Millionen Euro fest. Was also hatte Cosmo? Die Deutsche Reiterliche Vereinigung verlangt künftig mehr Transparenz, die Gerüchteküche ist längst in Gang.
Schon am Montag, dem ersten Wettkampftag, weinte die potentielle Europameisterin Jessica von Bredow-Werndl bittere Tränen der Ernüchterung. Die Prüfung hatte bestens für sie begonnen: Mit ihrer zwölfjährigen Dalera, einer hochbegabten dunkelbraunen Trakehner-Stute, die bisher nicht mit Verletzungen aufgefallen ist, hätte sie „ein neues Level erreicht“ sagte sie. Aber dann verwechselte das brave Tier mitten in der Trab-Traversale den Saisonhöhepunkt des Dressursports mit einem stillen Örtchen und fing an zu äpfeln. „Im beschissensten Moment“, beklagte Jessica von Bredow-Werndl. Der Rhythmus war ruiniert. 2.9 statt 10 Punkten für dieses gleich doppelt gewertete Element waren eine harte Strafe. Obwohl sie weiterkämpfte und auch in der Folge einen fehlerfreien Ritt zeigte, wirkte die Reiterin hinterher wie ein Häufchen Elend. Ihre Note von 76,894 Prozentpunkten – individuell Platz neun – hätte viele Teilnehmer in Rotterdam stolz gemacht. Aber im Kontext dieser deutschen Mannschaft wirkte sie wie ein Malheur.