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Gefahren erkennen, Unfallrisiken minimieren

Wie gefährlich ist der Reitsport?

Einer von fünf Reitern verletzt sich in seiner Reitkarriere schwer. So hieß es vor einigen Jahren in einer Studie. Übertrieben oder Tatsache? Eines zeigt sich immer wieder: Viele Unfälle, an denen Pferde beteiligt sind, lassen sich verhindern.

Beim Springen passieren deutlich mehr

"Ich war 20 Jahre Unfallchirurg im Kreiskrankenhaus in Coesfeld, da kam etwa dreimal in der Woche ein Reitunfall rein.“ Der Arzt und Osteopath Dr. Oliver Wirtz bestätigt mit dieser Aussage, dass der Reitsport definitiv nicht zu den ungefährlichen Sportarten zählt. Im Gegenteil. Reiten gehört in Sachen Verletzungsrisiko neben Ski- und Motorradfahren zu den führenden Disziplinen. „Dabei passieren knapp 60 Prozent der Unfälle im Sattel, etwa 30 Prozent beim Umgang mit dem Pferd und die restlichen zehn Prozent bei anderen Tätigkeiten wie dem Fahren oder dem Transport“, gibt Nicole Sollorz, Vorsitzende der Fachgruppe Vielseitigkeit/Club Deutscher Vielseitigkeitsreiter im Deutschen Reiter- und Fahrerverband, zu bedenken. Doch bevor Sie nun mit Angst in den Sattel steigen, sollten Sie eines wissen: Nach einem Großteil der Reitunfälle kommen die Reiter zu dem Schluss, dass sie diese hätten verhindern können, wenn sie gewisse Faktoren beachtet hätten. Und genau die gilt es, sich bewusst zu machen.

„Viele Reiter machen sich zu wenig Gedanken um das Lebewesen Pferd und dessen Instinkte“, sieht Ausbilder Markus Terbrack aus Nottuln immer wieder. „Sie vermenschlichen das Tier und gehen so mit ihm um, als würde es genauso denken, wie sie selbst.“ Damit steigt das Verletzungsrisiko, denn ein Pferd wiegt zwischen 400 und 600 Kilogramm, ist extrem stark, schnell und temperamentvoll. „Es ist nicht das Schmusetier, das besonders Kinder und Jugendliche in ihm sehen“, macht Terbrack deutlich. Was dazu passt, dass die meisten Reitunfälle Kindern und Jugendlichen passieren.

„Viele Reiter machen sich zu wenig Gedanken um das Lebewesen Pferd und dessen Instinkte. Sie vermenschlichen das Tier.“ Markus Terbrack, Ausbilder

„Hauptursache von Unfällen bei allen Reitergruppen ist, laut einer Studie der Uelzener Versicherung aus dem Jahr 2015, sogenanntes tierisches Verhalten“, sagt Ausbilderin und Buchautorin Nicole Künzel. Das könne eine plötzliche, instinktgesteuerte Fluchtreaktion sein, aber auch Durchgehen, abrupte Richtungswechsel oder auch Abwehrreaktionen wie Buckeln, oder Ausschlagen.

Julia Schmidt ist Verbandsärztin des Landesverbandes der Reit- und Fahrvereine Hamburg. Sie sieht in ihrer Sprechstunde neben den Sturzunfällen vor allem Trittverletzungen, Bissverletzungen und Wunden, die durch eine unsachgemäße Nutzung der Ausrüstung zustande kommen. „Sehr oft sind es beispielsweise richtige Brandwunden, weil man ohne Handschuhe longiert oder geführt hat und das Pferd einem die Longe durch die Hand gezogen hat“, sagt die aktive Reiterin. Dr. Oliver Wirtz hatte bei Trittverletzungen häufiger stumpfe Bauchtraumen in Behandlung. „Bei Stürzen sind Schlüsselbein- oder Rippenbrüche die Klassiker.“ Etwas, das häufig auch durch Verweigerungen vor Hindernissen entsteht. „Der Reiter fällt über den Hals auf die Stangen“, sieht Rettungsassistent Uwe Brolle aus Köln häufig. Er ist Gründer der „Outdoor First Aid Academy“ und bietet Schulungen in erster Hilfe an. In seiner Laufbahn hat er auch einige Kopfverletzungen nach Reitunfällen betreut und bestätigt ebenso wie Julia Schmidt, dass diese häufig aufgrund fehlender Helme entstehen. „Das Bewusstsein dafür hat sich aber in den vergangenen Jahren deutlich verbessert“, sehen beide. Julia Schmidt sagt allerdings klar, dass das noch nicht bei allen angekommen sei: „Ich würde mir wünschen, dass es wie beim Skifahren wird. Man sieht eigentlich niemanden mehr ohne Helm auf der Piste, obwohl es dort keine Helmpflicht gibt.“

Mittlerweile gibt es mit dem sogenannten Multi-Directional Impact Protection System (MIPS) eine neue Erfindung auf dem Helm-Markt. Dieses soll die sogenannte Rotationsbeschleunigung bei einem Sturz abfangen und damit dafür sorgen, dass die durch die Scherkräfte verursachten Risse kleiner Gefäße im Gehirn verringert werden. „Grundsätzlich denke ich, dass es gut wäre, wenn man Reitunfälle noch besser registrieren würde, um dauerhaft bessere Maßnahmen gegen Unfallschwerpunkte ergreifen zu können“, sieht Schmidt als sinnvoll an.

Fit für den (Ernst)-Fall

Doch wie kann sich jeder im Stallalltag besser schützen? „Die beste Prävention ist die gute Ausbildung von Pferd und Reiter“, bringt es Nicole Sollorz auf den Punkt. „Pferde werden nicht gefährlich, als Steiger oder unreitbar geboren, sie werden dazu gemacht“, ergänzt Dr. Theo Hölscher, Vorstandsvorsitzender der Uelzener Versicherung und sagt klar: „Es liegt an uns, dass es nicht so weit kommt.“ Dabei geht es sowohl um die Ausbildung im Sattel als auch im Umgang mit dem Pferd und um eine „konsequente aber faire Erziehung des Pferdes“, wie Markus Terbrack verdeutlicht. Aber nicht nur das. „Der Reiter sollte sich auch bewusst machen, dass er als Sportler an seiner Fitness arbeiten muss“, betont Dr. Julia Schmidt. „Ein gut gedehnter Muskel verletzt sich nicht so schnell wie ein verkürzter. Andersherum wird ein Reiter, der am Boden keinen Purzelbaum schlagen kann, definitiv Probleme haben, sich schnell abzurollen, wenn er fällt.“

Auch spezielle Falltrainings können den Reiter auf das richtige Abrollen bei einem Sturz besser vorbereiten, ist sich Uwe Brolle sicher. „Die Bewegungsmuster lassen sich automatischer abrufen.“

Wer reitet, sollte auf sich achten. Aber, wie alle Experten einstimmig sagen, weiterhin mit Begeisterung in den Sattel steigen, denn ein Restrisiko kann man im Leben nie ausschließen. Dr. Julia Schmidt ist sich sicher, dass, man, „wenn man das Pferd als Pferd respektiert und behandelt, sein Verhalten einschätzt und entsprechend reagiert, diesen einzigartigen, tollen Sport ganz einfach genießen kann“.

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Achtung, hier lauern Gefahren!

Beim Reiten

1. Decken und Jacken über die Bande zu hängen, kann schlimme Folgen haben.

„Es kommt so oft vor, dass ein Reiter mit dem Fuß an der Decke hängen bleibt und sie mitzieht. Das erschreckt sein eigenes Pferd und andere Pferde“, mahnt Ausbilder Markus Terbrack.

2. Fehlende Erziehung kann Unfälle verursachen.

„Viele Pferde können gar nicht mehr richtig stillstehen, wenn der Reiter aufsitzt. Das sollte man nicht tolerieren, sondern intensiv üben“, sagt Markus Terbrack. „Ansonsten wird schon das Aufsteigen zur Gefahr.“

3. Offene Hallentüren oder Tore vom Reitplatz sind ein Risiko.

„Besonders bei jungen Pferden sollte man darauf achten, dass alles verschlossen ist. Verliert man die Kontrolle, nutzt das Pferd den Fluchtweg gerne und nimmt dabei keine Rücksicht, ob noch ein Reiter im Sattel sitzt“, macht Terbrack deutlich. Viele Pferde flüchten in den Stall. Das kann für den Reiter übel enden.

4. Die „Da-muss-der-jetzt-durch“-Taktik im Gelände ist gefährlich.

Hat das Pferd beispielsweise Angst vor Kühen oder einem Flatterband am Rande des Weges, sollte man nur mit Ruhe auf es einwirken und im Zweifelsfall absteigen und es daran vorbeiführen. Das fördert Vertrauen. Die Hauruck-Methode provoziert eher Übersprunghandlungen wie Rückwärtsrennen, Herumwerfen oder sogar Steigen.

5. Durchhängende Zügel oder zu lange Hilfszügel sind der Klassiker für Unfallsituationen.

„Passt man kurz nicht auf, reibt sich das Pferd den Kopf am Bein und macht einen Schritt vor und schon hängt es mit dem Bein im Zügel“, veranschaulicht Markus Terbrack. Daraus entsteht Panik.

6. Offene Jacken, Schals oder auch Schmuck provozieren das Hängenbleiben.

„Beim Reiten sollte man seine Jacke korrekt verschlossen haben oder sie vorher ausziehen“, sagt Markus Terbrack deutlich. „Schmuck sollte man schon abnehmen, bevor man in den Stall fährt und den Schal ebenfalls besser zu Hause lassen.“ Bleibt man damit hängen, stellt man schnell fest, mit welcher Kraft ein Pferd auch kleine Bewegungen ausführt. Ein abgerissener Finger wegen eines am Halfter hängen gebliebenen Fingerringes ist da nur ein Beispiel.

7. Mit fremden Pferden zu nah aneinander vorbeizureiten, kann einen Reiter zur Zielscheibe machen.

Pferde brauchen Raum und den verschaffen sie sich. Wenn der Reiter nicht für einen Sicherheitsabstand sorgt, kann dies auch manchmal das Pferd übernehmen. Schlägt es aus, wird es für das Gegenüber sowohl unterm als auch im Sattel gefährlich.

Im Umgang mit dem Pferd

1. Niemals sollte man sich den Strick oder die Longe um die Hand, den Arm oder den Bauch wickeln.

„Im Notfall muss man sofort loslassen können“, sagt Dr. Julia Schmidt ganz klar. Und: Am besten Handschuhe tragen! Das verhindert Brandverletzungen, wenn das Pferd erschrickt und den Strick ruckartig durch die Hand zieht.

2. Das Pferd ohne Strick nur am Halfter zu führen, ist keine gute Idee.

Erschrickt es und springt zur Seite, hängt nicht selten ein Finger fest.

3. Signale des Pferdes zu missachten, ist ein Fehler.

Mag das Pferd seinen Boxennachbarn oder giftet es gerne in dessen Richtung? Lässt es sich problemlos unter dem Bauch putzen oder ist es kitzelig? Wie verhält es sich beim Satteln und Angurten? Wer sein Pferd nicht intensiv beobachtet, gerät schnell zwischen die Fronten.

4. Ein Pferd am Weidetor einfach laufen zu lassen, kann schwerwiegende Folgen haben.

„Bringt man sein Pferd auf die Weide, sollte man es zu sich in Richtung Weidetor drehen, bevor man den Strick löst“, sagt Markus Terbrack. Will es rasant losspringen, muss es sich erst einmal umdrehen. Zeit, in der der Reiter sich aus der Schusslinie der Hinterhufe begeben kann.

5. Anbinden an Boxentüren kann im Ernstfall schlecht ausgehen.

Pferde haben enorm viel Kraft und wenn sie sich erschrecken, ist es ein Leichtes für sie, eine komplette Boxentür aus der Verankerung zu reißen. Ein Pferd in Panik, das eine Boxentür mit sich schleift, ist eine Gefahr für sich und für andere.

6. Sich tief über den Huf zu beugen oder unter dem Bauch nach den Deckengurten zu suchen, ist fatal.

Ein Tritt nach einer Fliege kann in dieser Position den Kopf treffen. Deshalb sollte man sich so hinstellen, dass der Oberkörper immer so hoch bleibt, dass kein Huf den Kopf treffen kann.

7. Enge Tore, Gassen oder Türen können zum Nadelöhr werden.

Deshalb ist korrektes Führen so wichtig. Der Mensch geht in diesem Fall immer voran, das Pferd bleibt diszipliniert hinter ihm. Fängt es an zu Drängeln, ist die Einquetsch-Gefahr hoch. Wie es richtig geht, kann man auch in Stangengassen gezielt üben.

Beim Verladen

1. Die Stangen öffnen, die Tür schließen.

Junge Pferde steigen nicht immer ruhig auf den Anhänger, deshalb ist es sicherer, die vorderen Stangen beim Verladen auszuhaken, damit sich die führende Person nicht bücken muss, um hindurch zu kommen. Erst wenn das Pferd steht, schließt man sie. Wichtig: Die Einstiegstür bleibt geschlossen.

2. Die Klappe und die hintere Stange immer seitlich öffnen.

Wichtig ist erst einmal, dass die hintere Sicherheitsstange immer richtig verschlossen ist, damit das Pferd sie nicht während der Fahrt aus der Verankerung heben kann. Denn dann kann es passieren, dass es schon vom Anhänger steigt, wenn die Klappe noch gar nicht am Boden ist. Um nicht in Trittnähe der Hinterbeine zu sein, steht man beim Öffnen und Schließen immer neben dem Anhänger.

Der Artikel ist in der Reiter Revue 09/2019 erschienen. Diese und viele weitere Ausgaben können Sie direkt in unserem Online-Shop bestellen.