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Eine Kolumne über Rituale im Reiter-Alltag

Das Handbuch für mein Pferd

Jedes Pferd ist einzigartig, hat persönliche Vorlieben und Rituale. Das macht wohl auch die Faszination an unserem Hobby aus – und gleichzeitig aus uns Reitern verkappte Zwangsneurotiker.

Ist das dein Ernst? Das fragen sich auch unsere Pferde sicherlich des öfteren.

Münster - Kürzlich bin ich in den Urlaub gefahren. Aber nicht, ohne der Reit-Vertretung ein paar Hinweise für den Umgang mit meinem Pferd zu geben. Vorweg: Wer die im Laufe der Jahre perfektionierten Rituale meines Pferdes missachtet, den straft das Leben. Beziehungsweise das Pferd. Entweder wird es sofort sterben oder selbst zur unberechenbaren Todesmaschine mutieren.

1,2 Kilogramm Möhren und eine kleingeschnittene Banane

Beginnen wir beim Futter. Neben der täglichen Ration Kraftfutter und Heu bekommt mein Pferd zusätzlich drei Mal täglich 1,2 Kilogramm frische Möhren und um 12.30 Uhr sein Müsli mit Leinöl und zwei geviertelten, entkernten Äpfeln. Nach jedem Training ist eine Handvoll Müsli mit dem Elektrolyt-Pülverchen zu mischen und mit einer kleingeschnittenen Banane anzureichern. Was soll ich sagen, wer vorne so viel in sein Pferd hineinschüttet, muss auch eine Menge wieder aus der Box räumen. Also bitte drei Mal täglich die Box von Äppelhaufen befreien und dabei Menge, Geruch und Konsistenz der Hinterlassenschaften in die vorliegende Excel-Tabelle eintragen. Wichtig für die Optimierung des Futterplans und natürlich für den Tierarzt.

Merkblatt 1e für die Deckenwahl

Weidegang ist täglich von halb acht bis zwölf, an den Wochenenden von acht bis drei. Dazu ist je nach Witterung die passende Decke aufzulegen. Den Außentemperatur-Deckendicke-Koeffizienten gilt es mit der Formel auf Merkblatt 1e zu berechnen. Demnach ist das Pferd entweder mit Alaska-Thermo, Einfach-Thermo, Winter-, Übergangs-, Sommer- oder einer Fliegendecke einzukleiden. Bei jeglicher Art von Niederschlag liegt Merkblatt 1f parat. Das Niederschlag-Wasserschutz-Verhältnis lässt sich mit beiliegender Formel ermitteln und mithilfe der aufgeführten Grafik auf die entsprechend gekennzeichneten Regendecken mit variabler Wassersäule übertragen.

WhatsApp-Videos für den Putzplan

Vor dem Reiten muss das Pferd natürlich sauber und warmmassiert sein. Die Putzutensilien sind mit Nummern in aufsteigender Reihenfolge entsprechend ihrer Verwendung beschriftet. Die korrekte Benutzung habe ich in Video-Tutorials erklärt, die versende ich per Whats-App. Ich bin nicht verrückt – mein Pferd aber ein bisschen. Es wird den kleinsten Fehler im Putz-Ritual beim anschließenden Training quittieren. Reiten geht sowieso nur an Tagen mit einem „m“ im Namen. Das braucht man nicht zu hinterfragen. Das ist das Ergebnis jahrelang genauestens dokumentierter Erfahrungswerte. Dienstags ist Longier-Tag. Handbuch 2b erklärt die benötigte Ausrüstung und wie sie anzulegen ist, das Aufwärm-Programm sowie die Gestaltung der Longiereinheit, inklusive Mindestgröße des Zirkels beruhend auf genauen Berechnungen der Gravitationskurven und Zentrifugalkräfte.

Niemals ohne Double Protect!

Auch wenn ich nichts dem Zufall überlassen habe, bin ich doch etwas beunruhigt in den Urlaub gefahren. Wieder zurück führt mein erster Weg direkt in den Stall. Wo ist mein Pferd? „Das macht grad‘ Springgymnastik.“ Es wird geritten? An einem Dienstag? Wo ist bitte das „m“ im Wort „Dienstag“?! Erneuter Schock – die falschen Gamaschen! Das sind die fürs Parcours-Springen, die Springgymnastik-Gamaschen sind doch die schwarzen Double-Protect! Mein Pferd galoppiert auf mich zu, über eine In-Out-Reihe – ohne Double-Protect an den Beinen. Seine Reiterin lacht. Was ich doch für ein tolles Pferd habe, schwärmt sie und gibt im gleichen Atemzug zu, dass sie sich meine Anweisungen nicht merken konnte. Deshalb habe sie einfach alles so gemacht, wie sie es auch bei ihrem Pferd tut. „Dienstags ist halt Springgymnastik-Tag“, sagt sie. Aha, sie hat also auch einen genauen Plan. Ertappt! Pferde sind eben doch Gewohnheitstiere. Oder sind wir es vielleicht selbst?