Reiten:Verhaltenskodex im Gestüt

Dortmund - Signal Iduna Cup 2020, RIESKAMP-GOEDEKING Tim (GER), Pepina G Lutz Goessing Finale Youngster Tour Internation; Reiten

Der Signal Iduna Cup war am 14. März eines der letzen Springreitturniere.

(Foto: imago images/Stefan Lafrentz)
  • Organisierter Freizeitsport steht fast überall still - doch der Pferdesport ist ein besonderer Fall, denn Pferde müssen gepflegt werden.
  • Der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung bittet alle Mitglieder, die Abstands- und Hygieneregeln penibel einzuhalten.
  • Das stellt Reiter, Pfleger und Stallbesitzer vor Herausforderungen.

Von Gabriele Pochhammer

Der Springreiter Christian Ahlmann hat in diesen Tagen häufiger den Malerpinsel in der Hand als die Zügel. "Wir streichen gerade alle Hindernisse neu", sagt er, "jetzt kommt man mal dazu." Wie viele Kollegen nutzt er die Corona-Pause für einen Frühjahrsputz auf seiner Reitanlage in Marl. Nebenher läuft das Training der Pferde ungestört weiter, da haben es die Reiter besser als viele andere Leistungssportler.

Für Freizeitreiter, die jeden Tag zu ihrem Pferd in den Stall fahren müssen, ist es komplizierter. Zwar erkranken nach heutigem Wissensstand Pferde nicht am Coronavirus und geben ihn auch nicht weiter, aber die Menschen, auf die sie angewiesen sind, tun das sehr wohl. Reiter, Pfleger und Stallbesitzer stehen deswegen vor besonderen Herausforderungen. Tennisschläger kann man in die Ecke stellen, und Fußball spielen kann man auch im Garten mit den eigenen Kindern. Aber Pferde müssen versorgt werden, auch wenn es keine Reitstunden, keine Ausritte und schon gar keine Turniere mehr gibt.

"Alle Pferde, die jetzt bereit für Turniere sind, sind gerade unverkäuflich."

Alles ist jetzt anders, die Reiter dürfen nur einzeln oder in kleinen Gruppen in den Stall, nicht mehr als vier Pferde gleichzeitig dürfen in einer Reithalle oder auf einem Reitplatz bewegt werden. Und das Küsschen-Küsschen-Begrüßungsritual entfällt sowieso. Geküsst werden dürfen zur Zeit nur die Pferde.

"Es geht nicht mehr darum, ob Reitunterricht stattfinden darf oder nicht, sondern allein darum, dass die notwendige Versorgung und Bewegung der Pferde sichergestellt wird", sagt der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Soenke Lauterbach. Und damit hat er auf den Punkt gebracht, was in diesen Tagen nicht für alle, die in den Behörden das Sagen haben, selbstverständlich ist: Die Eindämmung der Pandemie ist wichtig, aber das Wohlergehen der Pferde auch, darauf haben sie einen gesetzlichen Anspruch. Damit beides möglich ist, hat die FN auf ihrer Website den Reitern, Pferdebesitzern und Stallbetreibern Hilfen in Form von Downloads an die Hand gegeben, bis hin zu Vorlagen für Zutrittsberechtigungen, Trainings- und Bewegungsplänen.

Vorangegangen waren Gespräche mit den Behörden, um den Sonderfall Pferdesport zu erklären. Auf Facebook bittet Lauterbach schon fast flehentlich die Reiter, sich entsprechend zu verhalten, ansonsten drohe die Sperre von ganzen Reitbetrieben, wie es hier und da schon versucht wurde. "Bitte, bitte haltet euch an die Regeln, sonst können wir nichts mehr für euch tun", sagt er. Für die FN ist die Corona-Krise auch eine Chance, ihr Image zu korrigieren: von dem Verband, der sich nur um zwei Dutzend Spitzensportler kümmert und ansonsten vor allem Gebühren kassiert und Paragrafen ausheckt, zu einem, der sich kümmert, um jeden Reiter.

Paul Schockemöhle wird 75

Heute einer der wichtigsten Züchter der Welt, 1984 in Los Angeles (im Bild) Gewinner von Olympia-Bronze mit dem Team sowie Mannschafts-Silber 1976 in Montreal: Paul Schockemöhle auf Deister.

(Foto: Heinz Wieseler/dpa)

Wie in viele Bereichen sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht abzuschätzen. Selbst die großen Namen der Branche haben zu kämpfen. Paul Schockemöhle, Herr über ein paar tausend Pferde, verkauft im Schnitt 750 Pferde im Jahr, die meisten ins Ausland. Jetzt sagt er: "Im Verkauf passiert so gut wie nichts." Es kommt keiner, der ein Pferd ausprobieren möchte, denn Reisen ist ja zur Zeit so gut wie unmöglich. Das geht nicht nur Paul Schockemöhle so, sondern auch seinen europäischen Kollegen in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden. "Alle Pferde, die jetzt einsatzbereit für Turniere sind, sind unverkäuflich", sagt Schockemöhle. Wozu ein Turnierpferd kaufen, wenn es keine Turniere gibt? Kurzarbeit ist für ihn kein Thema: "Die Arbeit wird bei uns ja nicht weniger." 300 Leute arbeiten auf seinen beiden Betrieben, 100 im niedersächsischen Ort Mühlen, wo die Sportpferde und die Hengste stehen, 200 auf Gestüt Lewitz in Mecklenburg-Vorpommern.

Züchter Schockemöhle schätzt, es werde zwei Jahre dauern, bis sich die Welt erholt hat

Für das tägliche Leben gelten strenge Regeln: "Wir reiten in Schichten, benutzen dabei verschiedene Hallen und Plätze, damit die vorgeschriebenen Abstände eingehalten werden können", sagt Schockemöhle. Die Büros sind leer, die Mitarbeiter auf Home-Office umgestellt. Das Essen wird verpackt geliefert, jeder holt es sich einzeln auf einer Anrichte ab. Gemütliches Beisammensein sieht anders aus, nicht nur in Mühlen. Im Gestüt Zangersheide in Belgien, nach Lewitz die zweite große Zuchtstätte für Springpferde, sind die Mitarbeiter deswegen in Gruppen eingeteilt, die keinen Kontakt zueinander haben. Sollte eine Gruppe in Quarantäne müssen, ist die andere noch einsatzbereit.

Die Pferdezucht ist weniger betroffen als der Sport. Anders als in der Vollblutzucht werden die meisten Stuten künstlich besamt, das Sperma kommt per Post. Bis die Fohlen des Jahres 2021 erwachsen sind, ist die Corona-Pandemie Geschichte, so die allgemeine Zuversicht. Allerdings kalkulieren viele Züchter ein, dass sie im Winter mehr Pferde durchfüttern müssen als sonst und deswegen die eine oder andere Stute nicht gedeckt wird. Schwierig wird es, sollten die Sperren ausgeweitet werden, zum Beispiel wenn Tierärzte nicht mehr auf Züchterhöfe kommen dürfen, um den Besamungsvorgang zu kontrollieren, sondern nur noch in Notfällen.

"Bisher läuft alles normal", sagt Christian Ahlmann, der Lebenspartner von Zangersheide-Chefin Judy Melchior: "Hoffen wir, dass es so bleibt." Oder besser wird. Wann sich alles normalisiert, weiß nicht einmal Paul Schockemöhle. Er schätzt, es werde wie bei der Lehmann-Pleite in den Jahren 2009/2010 zwei Jahre dauern, bis sich die Welt erholt hat. Er fürchtet: "Wir werden auch im nächsten Jahr weniger Pferde verkaufen, und die wenigen zu niedrigeren Preisen." Die Fohlen, die in diesen Tagen überall geboren werden, haben natürlich keine Ahnung, in welche krude Welt sie ihre ersten Schritte setzen. Ein oder zwei Jungtiere sind es bei den meisten Züchtern, 250 in Lewitz - bis jetzt.

"Das ist doch eigentlich die schönste Zeit mit den jungen Fohlen", findet Schockemöhles Geschäftsführer Florian Meyer zu Hartum, "das macht doch richtig Spaß." Normalerweise ja. Aber was ist jetzt noch normal?

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