Pferdesport:Disziplinierte Familie

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Spitzenreiter müssen hohe Einbußen hinnehmen - auch die Riem-Teilnehmer Simone Blum und Michael Jung.

Von Sabine Neumann

Der Hufeisenplatz, Münchens so genannter heiliger Rasen, leuchtet grün im Sonnenlicht. Über Lautsprecher werden Weltmeisterin Simone Blum und Qualibro angekündigt. Ein anspruchsvoller Parcours erwartet sie, auch wenn die Stangen in dem Zwei-Sterne-M-Springen deutlich tiefer hängen als 2018 bei den Weltreiterspielen in Tryon/USA. Dort gewann Blum mit ihrer als Wunderstute bezeichneten DSP Alice sensationell den Titel. Der sprunggewaltige Braune, den sie gerade reitet, ist erst sieben Jahre alt, eine ihrer Nachwuchshoffnungen. Eine gute Runde - doch niemand klatscht. Wegen der Hygiene-Auflagen ist das Turniergelände in Riem für Zuschauer tabu: Eintritt nur mit "Anwesenheitsnachweis" oder Akkreditierung. Maskenpflicht herrscht auch draußen, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann. Siegerehrungen finden nur nach ausgesuchten Prüfungen statt - ohne Pferde. Eine Reiterparty gibt es so wenig wie ein Vip-Zelt. "Wir sind froh, dass wir überhaupt reiten können und dürfen nichts riskieren", ist sich Weltmeisterin Simone Blum mit Vielseitigkeits-Doppel-Olympiasieger Michael Jung und dem Veranstalterteam einig.

Blum und Jung hätten in diesen Tagen eigentlich in Tokio sein sollen, aber die Olympischen Spiele wurden auf 2021 verschoben. Die Absagen großer Turniere reichen bis in den Winter. Erst am Donnerstag wurde das Nationenpreis-Finale in Barcelona endgültig abgesagt. Für die Springreiter gibt es 2020 keinen internationalen Saisonhöhepunkt und keine deutschen Meisterschaften. Umso wichtiger sind die kleineren Turniere, auf denen die jungen Pferde Erfahrungen sammeln und die Routiniers fit gehalten werden können. Der Wettbewerb und der direkte Austausch mit Freunden und Kollegen haben in den vergangenen Monaten gefehlt. Die Münchner Veranstaltung wirkt daher ein bisschen wie ein sehr diszipliniertes Familientreffen.

Nach dem Olympia-Aus war Blums Enttäuschung zunächst "riesig". Nur neun Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes hatte sie sich "voll motiviert" in den Sattel gehievt. Für Nichts. Dass sie drei Wochen später schon wieder richtig mit den Pferden arbeiten musste, hatte einen anderen Grund. Ihr Mann Hans-Günter fiel nach einem komplizierten Unterschenkelbruch aus. Sein Pferd war im Schritt weggerutscht und er unglücklich gestürzt. Zwei Operationen und mehr als fünf Monate später ist noch längst nicht alles gut. "Wir hatten in der Corona-Krise viel Zeit für unsere Tochter Hanna", berichtet die 31-Jährige. Mit ihrem Mann betreibt sie auf dem familieneigenen Anwesen bei Freising einen Ausbildungsstall. Der 43-Jährige hatte mit Lena Breymann von der Hippo GmbH und dem Pferd-International-Team im Juni bereits ein erfolgreiches Test-Turnier in Riem organisiert.

Der Lockdown hat Existenzen vernichtet, vor allem kleinere Betriebe, freiberufliche Trainer, Reitschulen und -vereine. Topreiter müssen hohe Einbußen hinnehmen. Blums DSP Alice etwa gewann in der vergangenen Saison fast eine halbe Million Euro Preisgeld, 2020 noch keinen Cent. "Der Reitsport ist sehr teuer. Man braucht genügend Rücklagen", sagt Jung. Dem Vielseitigkeitsprofi, der auch im Springsattel international erfolgreich ist, gehören nur wenige Pferde selbst. Während der Krise war das zuletzt ein Vorteil, die Einnahmen durch Boxenmiete und Beritt flossen ja weiter. Auch die Sponsoren blieben. Kürzlich gewann der 38-Jährige sogar einen neuen für die Olympiavorbereitung hinzu, das italienische Team Scuderia 1918. Schwer ist die Zeit trotzdem, auch privat. "Mein Bruder lebt in Kanada. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen", erzählt Jung.

Die Verschiebung der Spiele kommt dem Schwaben entgegen, denn seinen Tokio-Kandidaten Chipmunk FRH hat er erst 2019 übernommen. Die Corona-Pause gab ihm genügend Zeit für Vertrauensaufbau und Feinabstimmung. Ende Juli gewann das Paar prompt den Vier-Sterne-CCI im polnischen Strzegom, bei seinem zweiten gemeinsamen Turnier. Ein weiterer Sieg in der Drei-Sterne-Vielseitigkeitsprüfung gelang Deutschlands jüngstem Reitmeister mit Wild Wave. Auch der achtjährige Braune könnte zu einem Olympiakandidaten werden.

"Wir hoffen sehr, dass es weitergeht", sagt Jung, die Unsicherheit ist spürbar. Zumindest an diesem Samstag werden er und Blum reiten. Es geht um den mit 10 000 Euro dotierten Großen Preis, es ist das erste Springen auf Drei-Sterne-S-Niveau in Bayern.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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