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Michael Fischer über sein Zwei-Punkte-System

"Geritten wird der Pferdekörper, nicht der Pferdehals"

Die Reitlehre möglichst einfach erklären, ist Michael Fischers Mission. Mit dem Zwei-Punkte-System veranschaulicht er die Biomechanik von Pferd und Reiter. Das Ziel: Hinterhand und Brustbein des Pferdes auf eine Ebene bringen. Im Interview erklärt er, wie das geht.

Vorwärts-abwärts aber dennoch bergauf - das geht! Dressurreiterin Ann-Christin Wienkamp liefert den Beweis.

Links: der Reiter versucht sein Pferd über die Hand zu regulieren. Das Brustbein kippt ab. Rechts: Der Reiter richtet sich auf. Sein Pferd dehnt sich, geht aber dennoch aufwärts.

Was genau wollen Sie mit Ihrem Zwei-Punkte-System erklären?

Mein System betrachtet zwei Punkte am Pferd: den Motor an der Hinterhand und das Brustbein. Diese beiden Punkte müssen bei seitlicher Betrachtung auf einer Höhe sein. Dann ist das Pferd in Balance. Liegt das Brustbein tiefer als der Motor, geht das Pferd auf der Vorhand.

Was bedeutet das konkret für den Reiter?

Wenn das Pferd vorhandlastig ist, machen viele den großen Fehler und versuchen über die Einwirkung auf Hals, Maul und Genick, das Pferd ins Gleichgewicht zu bringen. Sie versuchen, ihr Pferd im Hals höher zu bekommen. Wenn sie aber den Hals höher ziehen und versuchen nach oben zu wirken, schaffen sie vielleicht, dass Kopf und Hals höher kommen, aber das Brustbein wird tief bleiben.

Also kommt es weniger auf die Kopf-Hals-Haltung des Pferdes an?

Das Entscheidende ist, dass der vorderste Punkt des Pferdekörpers das Brustbein ist und nicht der Pferdehals oder das Maul. Geritten wird der Pferdekörper und nicht der Pferdehals. Der Hals ist unabhängig vom Körper. Ich sage meinen Schülern häufig, sie sollen sich vorstellen, ein Pferd ohne Hals zu reiten, bei dem die Zügel direkt am Brustbein festgemacht sind. Dann würden sie ja auch nicht daran ziehen und somit das Brustbein ausbremsen. Es wird nur noch auf Stirnlinien geschaut und darauf, dass das Genick der höchste Punkt ist – eben weil es von jedem zu erkennen ist. Aber ein Pferd, dessen Genick der höchste Punkt ist, kann trotzdem auf der Vorhand gehen. Und umgekehrt kann ein Pferd sich dehnen, den Kopf tief halten, sich fallenlassen und trotzdem bergauf gehen.

Ist starke Handeinwirkung die häufigste Ursache für vorhandlastig gehende Pferde?

Ja, das ist die häufigste Ursache. Wenn der Reiter versucht, sein Pferd über die Hand in die Tiefe zu reiten, es also über die Hand runder machen möchte, zieht er nur das Brustbein in die Tiefe. Der Reiter muss sich gedanklich ändern: Egal, was der Hals des Pferdes macht, ich wirke nicht mit der Hand ein, sondern lasse sie einfach stehen. Man spricht immer von der Verbindung zwischen Hinterhand und Pferdemaul. Das ist auch richtig, aber es ist eben noch ein Punkt dazwischen. Das Brustbein. Wer das nicht im Kopf hat, wird sein Pferd bergab reiten.

Also ist es ein Problem, wenn Reiter ihre Pferde unbedingt durchs Genick reiten wollen?

Genau das ist das Problem. Die meisten Reiter wollen, dass ihre Pferde durchs Genick gehen, weil das jeder ganz einfach beurteilen kann. Geht ein Pferd durchs Genick wird das fälschlicherweise häufig gleichgesetzt mit gutem Reiten. Daher ist für viele das alleinige Ziel, dass ihre Pferde durchs Genick gehen. Wenn es sein muss auch mit viel Handeinwirkung. Wer dann auch noch mit den Schenkeln nachtreibt, fordert nur den Motor des Pferdes auf, noch weiter in die Tiefe zu schieben. Ein Teufelskreis.

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Was muss der Reiter denn im Sattel tun, um sein Pferd bergauf, beziehungsweise in natürlicher Balance zu reiten?

Hier kommen wir auf einen weiteren Teil des zwei-Punkte-Systems zu sprechen: die Biomechanik des Reiters. Da gibt es viele Parallelen zum Pferd. Auch beim Reiter sind Motor und Brustbein ausschlaggebend, wobei der Motor in der Hüfte, beziehungsweise im unteren Rücken sitzt. Mit seinem Motor kann der Reiter sein Pferd klar spüren lassen, ob es vorwärts gehen oder zurückkommen soll. Er spricht damit den Motor des Pferdes an. Mit seinem Brustbein kann der Reiter das Brustbein des Pferdes ansprechen, indem er sich aufrichtet und nach vorne schaut. Den treibenden Schenkel kann er als Unterstützung seines Motors einsetzen und die Hand zur Unterstützung des Brustbeins. Bei jungen Pferden ist das anfangs auch noch nötig. Im weiteren Verlauf der Ausbildung sollten Hand und Schenkel jedoch immer weniger einwirken.

Um ein Pferd weg von der Vorhand zu bekommen, ist es entscheidend, den Pferdekörper von hinten nach vorne nach oben zu reiten. Dabei hält die Hand eine Verbindung zum Pferdemaul, mehr nicht. Sie wirkt nie rückwärts. Wenn der Körper von hinten nach vorne nach oben arbeitet, wird jedes Pferd das Bedürfnis haben, seinen Hals fallenzulassen. Alleine schon, um ins natürliche Gleichgewicht zu kommen, sodass Motor und Brustbein wieder auf einer Achse liegen.

Die Aufrichtung des Reiters im Sattel ist also wichtig. Sollen sich die Körper von Pferd und Reiter gewissermaßen synchronisieren?

Das wäre gut. Denn das Pferd soll sich am Sitz des Reiters aufrichten. Wenn ich mich aufrichte, signalisiert das dem Pferd: Versuche dich, mir anzupassen, mein Brustbein ist oben.

Was passiert denn, wenn der Reiter sich nicht aufrichtet?

Wenn der Reiter beispielsweise nach unten schaut, zum Beispiel auf den Hals seines Pferdes, und sein Kinn runternimmt, geht automatisch das Brustbein runter. Wenn man dann auch noch mit der Hand festhält, signalisiert all das dem Pferd: Brustbein nach unten. Man muss sich selber aufrichten. Das löst schon die meisten Probleme.

Aufrichten heißt aber auch nicht Rückenlage. Im Seitenbild sieht das dann so aus, als würden die Reiter ihre Pferde schieben. Um nicht hinten rüberzufallen, kippen die Reiter ihr Brustbein wieder ab. Zudem hat der Mensch im normalen Leben gelernt, das zu bearbeiten, was er sieht. Und wenn der Reiter auf den Hals seines Pferdes schaut, versucht er auch diesen zu bearbeiten. Ein großer Fehler.

Dennoch muss der Reiter sein Pferd ja auch treiben. Wie macht er das richtig?

Es heißt ja immer, der Reiter soll sein Pferd vor sich haben. Tatsächlich sitzt der Reiter aber im vorderen Drittel des Pferdekörpers. Daher ist es unheimlich wichtig, dass seine Schenkel gerade unter seinem Körper liegen und er wirklich im Schwerpunkt sitzt. Tatsächlich sitzen viele Reiter in einem leichten Stuhlsitz und treiben eher vor dem Körper. Woher soll das Pferd wissen, dass es „vorwärts“ bedeutet, wenn der Reiter so weit vorne treibt? Allein, wenn man das Bein ein bisschen weiter zurücknimmt, hat das schon einen großen Effekt. Im Verlauf der Ausbildung muss der Reiter dahin kommen, dass er sein Pferd nur über den Sitz reiten kann, indem er den Rücken anspannt, das Brustbein anhebt oder eben beides. Das meint letztendlich auch das Zusammenspiel der Hilfen. Da braucht es kein Ziehen oder Quetschen.

Dieses Interview ist erstmals erschienen in Reiter Revue 4/2020.

Mehr über das Zwei-Punkte-System erklärt Michael Fischer außerdem in seinem Buch "Reiten leicht & logisch – So wirst du der bessere Reiter für dein Pferd". Das Buch können Sie hier online bestellen.