Barren im Springsport
„Beim richtlinienkonformen Touchieren handelt es sich um das Setzen eines taktilen Reizes“

Wieder einmal ein Skandal im Reitsport: Springreiter Ludger Beerbaum soll eine verbotene Trainingsmethode angewendet haben: das Barren. Beerbaum bestreitet den Vorwurf und erklärt, er habe das erlaubte Touchieren angewendet. Wir haben FN-Ausbildungsleiter Thies Kaspareit gebeten, uns zu erklären, warum in den Richtlinien zwischen Touchieren und Barren unterschieden wird und ob eine Änderung des Regelwerks in Sicht ist.

Debatte um Dressur
Foto: privat

CAVALLO: Das FN-Regelwerk unterscheidet beim Training zwischen dem verbotenen Barren und dem erlaubten Touchieren. Wie sollte das Touchieren als pferdegerechte Trainingsmethode korrekt angewendet werden und aus welchen Gründen ist sie überhaupt erforderlich?

Thies Kaspareit: Unter ganz bestimmten Voraussetzungen ist das Touchieren als Trainingsmethode erlaubt, es darf jedoch nicht auf Turnieren angewendet werden. Beim Touchieren handelt es sich um ein Sensibilisieren des Pferdes durch gezieltes Berühren der Pferdebeine im Sprungablauf. Damit soll das Pferd dazu angeregt werden, seine Aufmerksamkeit und Koordination wieder zu erhöhen. Dabei dürfen dem Pferd jedoch keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Diese Trainingshilfe muss sehr dosiert angewandt werden und ersetzt nicht das eigentliche Training des Springpferdes. Sämtliche Trainingsmethoden müssen stets fach- und pferdegerecht eingesetzt werden. Wie das Touchieren fachgerecht angewendet wird, ist in den Richtlinien für Reiten und Fahren Band 2 beschrieben. Generell gilt: Touchieren wird von der FN als Trainingshilfe nur akzeptiert, wenn es pferdegerecht und von erfahrenen, routinierten Pferdefachleuten durchgeführt wird, die über genügend Gefühl, Sensibilität und Erfahrung verfügen. Vor dem Touchieren muss sichergestellt werden, dass reiterliche Unzulänglichkeiten, Durchlässigkeitsmängel des Pferdes, mangelnde koordinative oder konditionelle Fähigkeiten bzw. Springtechnik des Pferdes und die grundsätzliche Ausbildungs- und Trainingsgestaltung bzw. gesundheitliche Faktoren nicht Ursache für unsauberes Springen sind. Das Pferd muss über gute Durchlässigkeit verfügen und sich gleichmäßig und vertrauensvoll zum Sprung reiten lassen. Der Reiter muss – ausgestattet mit solider reiterlicher Grundlage – Einzelhindernisse mit gutem Taxiervermögen anreiten und das Pferd in jeder Situation sicher zwischen den Hilfen einrahmen können. Dabei dürfen ausschließlich Touchierstangen verwendet werden, die ein maximales Gewicht von 2.000 Gramm bei drei Metern Länge nicht übersteigen. Die Beschaffenheit der Stange muss rund sein, mit glatter Oberfläche aus nicht splitterndem Material. Sie darf jedoch nicht aus Metall sein. Das Touchieren bestimmter Beinpartien während des Sprunges dient dazu, dass das Pferd die Karpal- und Tarsalgelenke im Sprung vermehrt beugt, also die Beine stärker anwinkelt, um einen Stangenkontakt zu vermeiden. Dazu wird, wenn die o.g. Voraussetzungen gegeben sind, über ein niedriges Hindernis gesprungen. Das Anheben der Stange muss aus der Höhe der oberen Hindernisstange erfolgen. Der "touchierende Ausbilder" hält die Touchierstange so, dass entweder die Vorderbeine oder die Hinterbeine im Sprungablauf berührt werden. Abgrenzung zum Barren: Vor 30 Jahren, im Zuge der sogenannten "Barr-Affäre", hat die FN in einem aufwendigen Verfahren mit Wissenschaftlern, Tierschutzorganisationen und Pferdesport-Experten eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem verbotenen, tierschutzwidrigen Barren und der erlaubten Trainingsmethode des Touchierens vorgenommen, die auch heute noch in den Richtlinien für Reiten und Fahren genau definiert ist. Bei der regelkonformen Anwendung des Touchierens wird eine Stange wie oben beschrieben angehoben, damit es zu einem Kontakt kommt, der die Aufmerksamkeit unter Erhalt des Vertrauens des Pferdes verbessern soll. Es wird jedoch nicht mit einer Stange/einem Gegenstand gegen Pferdebeine geschlagen, was zu erheblichen Schmerzen führt, so wie es in den Tierschutzleitlinien als verbotenes Barren definiert ist. Den Einsatz von Gewalt in der Ausbildung von Pferden lehnen wir strikt ab. Eine Vertrauensbasis zwischen Reiter und Pferd ist absolute Grundvoraussetzung: Nur wenn eine Vertrauensbasis vorhanden ist, wird das Pferd gute oder sogar Höchstleistungen erbringen. Beim richtlinienkonformen Touchieren handelt es sich um das Setzen eines taktilen Reizes, ähnlich wie beim Abwurf einer Hindernisstange, nicht um das Hinzufügen von Schmerzen. Das Erleiden von Schmerzen würde zum Vertrauensverlust des Pferdes führen. Dieser Vertrauensverlust steht im absoluten Gegensatz zu dem Ziel, dem Pferd in der Ausbildung den Weg zu sehr guten Leistungen aufzuzeigen.

Unsere Highlights

Auf den Videosequenzen, die RTL zugespielt wurden, ist zu erkennen und zu hören, wie und womit auf die Pferde im Sprung eingewirkt wird. Handelt es sich hierbei um pferdegerechtes Training, bei dem den Tieren keine unnötigen Schmerzen zugefügt werden? Kann das gezeigte Geschehen als Touchieren ausgelegt werden und wenn ja, warum?

Um genau diese Fragen seriös klären zu können, werden sämtliche Videomaterialien eingefordert, um sie bezüglich aller Details inklusive des Verhaltens des Pferdes auch vor und nach dem Sprung zu analysieren.

Wann ist mit Ergebnissen der Kommission, die von der FN zur Klärung beauftragt wurde, zu rechnen?

Die Kommission beschäftigt sich nach intensiver inhaltlicher Aufarbeitung und Diskussion zurzeit damit, ob und welche Regelwerksanpassungen möglich und sinnvoll wären. Wir sind zuversichtlich, dass Empfehlungen der Kommission im Umgang mit dieser Thematik noch im Frühjahr vorliegen werden.

Die aktuelle Ausgabe
5 / 2024
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Erscheinungsdatum 23.04.2024