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WM Herning 2022

„Ich musste alles neu lernen“

Anna-Lena Niehues reitet ihre ersten Weltmeisterschaften. Es ist ihre erste Saison als Para-Reiterin überhaupt, nachdem die Pferdewirtschaftsmeisterin nach einer Tumor-Operation 2017 inkomplett querschnittsgelähmt war. Sie gewann 2022 schon die Deutsche Meisterschaft. Mit uns schaut sie auf ihren Weg in den Para-Sport.

Weltmeisterschaften 2022: Anna-Lena Niehues startet mit Quimbaya für das deutsche Team.

Herning/DEN – Für Anna-Lena Niehues und Quimbaya läuft es gut bei ihrer WM-Premiere. In der ersten Prüfung belegte sie den sechsten Platz. In der zweiten den fünften. Damit darf sie am Sonntag in der Kür um Einzelmedaillen mitreiten. Reiter Revue-Redakteurin Sabine Gregg hat die 37-jährige Pferdewirtschaftsmeisterin in Herning getroffen:

Deine Stute Quimbaya ist neun Jahre alt. Vor fünf Jahren wurde dir bei einer Operation ein Tumor an der Halswirbelsäule entfernt, seitdem bist du körperlich beeinträchtigt. Wie habt ihr beiden zusammen gefunden?

Quimbaya gehört uns seit fünf Jahren. Mein heutiger Mann hat sie gekauft, als ich nach meiner Operation im Krankenhaus lag. Sie stand auf der Auktion in Münster-Handorf zum Verkauf. Dort habe ich mir Pferde für Kunden angeschaut, ehe ich ins Krankenhaus musste. Ein Tumor im Rückenmark im Bereich der Halswirbelsäule. Vor der Operation hatte ich nichts, was die Ärzte gewundert hat, weil der Tumor im Bereich meiner Halswirbelsäule wohl schon recht groß war. Die Operation ist gut gelaufen. Wenn man es so sehen will, bin ich aber gesund rein gegangen und krank rausgekommen. Meine Nerven wurden gereizt, so sind mein rechter Arm und mein rechtes Bein betroffen. Ich musste alle Bewegungen neu lernen. Doch ich bin zufrieden. Ich bin hier und kann reiten. Zurück zu Quimbaya: Damit meine Familie mal was anderes sieht als die Krankenhauswände, habe ich sie zur Auktion geschickt, um ein Pferd zu kaufen (lacht). Quimbaya wird seitdem bei uns ausgebildet. Sie ist nicht die Größte, macht sich aber sehr groß im Viereck. Für mich passt das sehr gut.

Hast du je darüber nachgedacht, aufgrund deiner Beeinträchtigung mit dem Reiten aufzuhören?

Nein. Ich habe direkt nach der Operation noch gescherzt, dass ich nun nur noch Westernreiten kann, weil die mit einer Hand reiten. Wenn man in einer Situation ist, in der etwas Schlimmes passiert, gibt es nur zwei Möglichkeiten: sich dem hinzugeben oder sich da wieder heraus zu kämpfen. Ich habe die Situation als Herausforderung genommen.

Weltmeisterschaften 2022: Anna-Lena Niehues und die neunjährige Quimbaya bei ihrem ersten Championat.

Wie hat sich dein Alltag verändert?

Es ist alles langsamer für mich. Alleine das Laufen ist langsamer. Früher konnte ich acht oder zehn Pferde reiten, jetzt sind es vielleicht drei oder vier am Tag. Früher war ich immer in so einem Hamsterrad und wollte alles erreichen, heute kann ich vieles gelassener sehen. Mein Ziel war es nicht, sofort die Weltmeisterschaft zu reiten. Es ist schön, dass ich das mitnehmen darf. Aber es wirft mich nicht aus der Bahn, wenn etwas nicht klappt. Das war früher anders.

Wie schnell bist du wieder im Sport geritten?

Im Regelsport bin ich ein halbes Jahr nach meiner Operation wieder gestartet. Mit meiner Stute Romy Lou war ich zuvor auf S-Niveau unterwegs, wir sind dann bald wieder M-Dressuren geritten. Da habe ich gemerkt, dass es anders ist. Ich war vorher Leistungsklasse 3, da reiten Profis. Gegen die wollte ich nicht mehr starten, aber es gab keine Möglichkeit die Leistungsklasse zu wechseln. Ich wollte eine Schonzeit bekommen, aber die gab es nicht. So musste ich mich körperlich, aber auch mental darauf einstellen. Ich wollte mitreiten, aber nicht da, wo ich aufgehört habe, weil mir klar war, dass ich das nicht kann. Man wird nicht krank und sagt: ‚Jetzt kann ich Para-Dressur reiten“. Es ist ein Prozess. Es gehört viel dazu, sich einzugestehen, dass man beeinträchtigt ist, dass man vieles nicht mehr so kann wie vorher. Para-Reiten war mir ein Begriff, aber ich wusste nicht, was es alles bedeutet.

Weltmeisterschaften 2022: Anna-Lena Niehues und Quimbaya zeigten harmonische Runden in Herning. Die Para-Reiterin startet im Grade IV.

Wie wird festgestellt, zu welchem Grade man gehört?

Man legt im Prinzip seine Krankenakte vor und macht Tests. In meinem Fall war es ein neurologischer Test. Ich habe mich dabei gewundert, wie langsam ich auf der rechten Seite bin. Ich habe mich in meinem Alltag gut damit arrangiert. Aber der Unterschied ist schon gewaltig.

Meine internationale Klassifizierung hatte ich in Kronberg. Da sollte ich manche Sachen immer schneller machen. Sobald ich das probiert habe, konnte ich die Bewegung nicht mehr sauber ausführen. Es war eindeutig, dass ich manches nicht so kann wie andere.

Wie fühlt sich deine erste Saison im Para-Sport an?

Ich hatte noch gar keine Zeit darüber nachzudenken. Ich habe mich im Februar dem deutschen Team vorgestellt. Da hieß es, dass man so im September mal weiter schauen könnte. Dann bin ich im Regelsport viele Turniere geritten. Die Prüfungen liefen gut und dann habe ich den Anruf bekommen, dass ich bei der Deutschen Meisterschaft reiten darf. Wir haben gewonnen. Nun bin ich bei meinen ersten Weltmeisterschaften. Es geht so schnell.

Was bedeutet es für dich, nun so viele Tage unterwegs zu sein?

Wir haben einen Reitbetrieb mit 50 Pferden und bieten Reiterferien an. Ohne mein Team und die Unterstützung meines Mannes wäre das alles nicht möglich. Er ist während der Wettkämpfe vor Ort und das bedeutet mir viel. Unsere Mitarbeiter sind auch hier und das ist richtig, richtig schön.

Weltmeisterschaften 2022: Anna-Lena Niehues und Quimbaya während der Galopptour in Herning.

Was ist dein Ziel bei den Weltmeisterschaften?

Ich möchte vorne mitreiten. Ich weiß, dass die anderen routinierter sind. Sie haben erfahrenere und auch sehr gute Pferde. Ich versuche mich nur auf meinen Ritt zu konzentrieren. Das Viereck ist wie auf jedem Turnier 20 mal 60 Meter groß und das versuche ich auch meinem Pferd zu vermitteln. Es ist ein Viereck, wie überall.

Es ist fraglos ein tolles Gefühl, dabei zu sein. Aber ich möchte meine Prüfung abliefern und gut sein. Ich war in meiner ersten Prüfung in der Trabtour vorne und dann habe ich mich natürlich geärgert, dass ich das Ergebnis nicht halten konnte.

Sportlerin durch und durch.

Ja. Wenn ich hier nicht den Ehrgeiz hätte, hätte ich auch nicht den Ehrgeiz im Umgang mit meiner Krankheit. Ich konnte nicht mehr laufen und mich bewegen. Ich musste wirklich alles neu lernen.

Wie lange hat dieser Prozess gedauert?

Ich bin heute noch dabei. Ich gehe regelmäßig zur Physiotherapie und denke mir weiterhin, dass da noch mehr geht. Im Hinblick auf die Weltmeisterschaften habe ich konkret versucht, meinen Körper fitter zu machen. Ich möchte noch mehr Körperspannung und versuchen, meinen rechten Arm noch besser zu kontrollieren. Ich reite stets mit einer sehr leichten Zügelführung und dadurch kommt im Pferdemaul nicht viel an, aber dennoch möchte ich da noch feiner werden.

Weltmeisterschaften 2022: Anna-Lena Niehues und Quimbaya sind ein besonderes Team. Die Stute kam in Anna-Lena Niehues Stall als sie im Krankenhaus lag.

Inwiefern haben die Pferde dir geholfen?

Sie machen den Unterschied. Ich konnte noch nicht wieder laufen, da wollte ich schon aufs Pferd. Die bekannten Bewegungen fördern die Regeneration meiner Muskulatur. Fünf Wochen nach meiner ersten Operation saß ich zum ersten Mal auf unserem Norwegerpony. Ich wurde geführt, alle mussten die Halle verlassen und ich saß mit dem Voltigiergurt auf dem Pferd. So habe ich angefangen. Das war toll. Ich konnte nicht laufen, aber ich konnte wieder reiten. Seitdem ich auf der Welt bin, bin ich bei den Pferden. Sie bedeuten mir alles.

Viel Erfolg weiterhin und Danke für deine Zeit.

Die Familie Niehues betreibt in Gronau den Reiterhof Rüenberg in dritter Generation. Dort können Kinder reiten lernen und ihre Ferien verbringen. Auch für Erwachsene gibt es Lehrgänge und Unterricht. Anna-Lena Niehues Oma Marta Teske hat den Grundstein gelegt. Für Anna-Lena Niehues stand immer fest, dass auch sie mit Pferden arbeiten möchte. www.reiterhof-rueenberg.de