Landgestüt Dillenburg vor der Schließung – Die international bekannte Tierärztin Dr. Hiltrud Strasser im Weltexpress-Exklusivinterview

Hiltrud Strasser
Die fundierten medizinischen Kenntnisse der Tierärztin Hiltrud Strasser (im Bild 2009 in Riga) sind die Basis für eine ganzheitliche Hufbearbeitung. Riga 2009, © 2009, Hiltrud Strasser, Foto: Natalija Aleksandrova, BU: Bernd Paschel

Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress). Das Landgestüt Dillenburg steht vor der Schließung. Aus diesem Grund sprach Bernd Paschel mit der international bekannten Tierärztin und Hufspezialistin Hiltrud Strasser, die einen ganzheitlichen Ansatz in der Behandlung von Pferdekrankeiten vertritt.

Es ergab sich mehr zufällig vor über 30 Jahren, dass ihre eigenen Pferde in einem Offenstall lebten und ihr damaliger Hufschmied der Ansicht war, sie könnten ohne Beschlag auskommen. Das verwunderliche war, dass Pferde, die in teuren Ställen standen und regelmäßig professionell mit Hufeisen beschlagen wurden, eine Vielzahl gesundheitlicher Probleme aufwiesen, die eher kostengünstig gehaltenen Pferde hingegen nie krank wurden.

Mittlerweile ist ihr ganzheitlicher Ansatz im Umgang und der Behandlung mit gesunden und kranken Pferden in der ganzen Welt verbreitet, wo Hufpfleger in ihrer Methode ausgebildet werden. In der Schweiz ist die Ausbildung zum „Hufpfleger nach Dr. Strasser“ staatlich anerkannt.

Sie ist Verfasserin von sieben Büchern, ein weiteres über die artgerechte Haltung von Pferden ist in Arbeit.

Das Interview

Hiltrud Strasser inmitten ihrer Absolventinnen eines Ausbildunskurses für Hufpfleger. Riga 2009, © Hiltrud Strasser, Foto: Natalija Aleksandrova
Hiltrud Strasser inmitten ihrer Absolventinnen eines Ausbildunskurses für Hufpfleger. Riga 2009, © Hiltrud Strasser, Foto: Natalija Aleksandrova

Paschel: Frau Strasser, ich hatte ja schon mehrfach das Vergnügen mit Ihnen über die ganzheitliche Hufbearbeitung zu sprechen. Ich bearbeite die Hufe meines Pferdes mittlerweile selbst. Wie wichtig ist für Sie die Mitarbeit der Pferdehalter?

Strasser: Es ist wichtig, dass die Pferdehalter  so viel wie möglich selber über ihre Tiere Bescheid wissen, also dass sie verstehen, warum die viele Bewegung nötig ist, warum Pferde besonders große Nahrungsvielfalt benötigen, warum das tägliche Fußbad für die Hufe wichtig ist, warum man sich darum bemühen muss, sich dem Pferd durch Körpersprache und Stimme und nicht Gewalt, genannt „Hilfen“, verständlich zu machen, warum Pferde das Familien- bzw. Herdenleben für ihre Gesundheit brauchen und vieles andere mehr.

Paschel: Der zentrale Gegenstand unseres Interviews ist die aktuelle Diskussion um die Schließung des Landgestütes Dillenburg, weil das Land Hessen, vertreten durch seine Landwirtschaftsministerin Priska Hinz, der Meinung ist, dass im Landgestüt Dillenburg eine tierschutzrelevante Haltung nicht gewährleistet werden kann.

Im Bewusstsein vieler Menschen, nicht nur Reiter, sind Eisen an den Hufen und im Maul so selbstverständlich, als würden die Pferde damit geboren.

Strasser: Wie Sie sagen: die „Hilfsmittel“, die eigentlich nur der Bequemlichkeit der Menschen dienen, weil sie sich nicht die Zeit nehmen wollen, sich mit dem Pferd anderweitig gut zu verstehen, scheinen zum Pferd dazu zu gehören. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass in Lehrbüchern – selbst für Veterinäre – die Fußanatomie bereits ein Hufeisen unter dem Huf hat! Dieser Zustand – sowie die Haltung  in geschlossenen Räumen anstatt in großen Freiräumen – wird zu Recht von Frau Ministerin Hinz als tierschutzrelevant angeprangert. Traurig ist, dass die FN sich zwar immer als Beschützerin der Pferde ausgibt, in Wirklichkeit aber diesen Zustand der Tierquälerei erhalten wissen will. Denn wenn sie zugibt, dass diese Art der Haltung und der reiterlichen Behandlung der Tiere nicht artgerecht ist, dann müssten alle Turnierställe und die Turniere daraufhin überprüft und beanstandet werden. Alle Turnierreiter müssten dann sehr viel mehr Zeit aufwenden, um sich mit ihren in der Herde lebenden Pferden ohne die krankmachende Zäumung, ohne Gerte und Sporen, ohne hufbeinverkrüppelnde Hufeisen in Freundschaft und Freiwilligkeit den gesteckten Sportzielen anzunähern und damit im Vergleich des Turniers zu bestehen oder zu gewinnen.

Paschel: Nicht nur im Landgestüt Dillenburg, sondern auch in vielen privaten Pferdeställen werden die Pferde nicht artgerecht gehalten.

In Ihrem Brief an die Ministerin begründen Sie sehr fundiert, was aus Ihrer Sicht „artgerecht“ ist. Können Sie die Punkte dem Sinne nach noch einmal nennen?

Strasser: Ja, dem Sinne nach ist das kein Problem:

„Für alle Pferde gilt:

  1. Sie gehören zur Gattung Weitwanderwild, die sich ständig im Freien bewegen können müssen, und zwar
  • im gewachsenen Herdenverband (Es gibt keinerlei Unterschiede zwischen domestizierten und wildlebenden Pferden).
  • mit abwechslungsreichen (besonders auch jahreszeitlich) wechselndem Futter
  • bei Futteraufnahme vom Boden (so verlangt es die Anatomie des Pferdes)
  1. Aufenthalt in geschlossenen Räumen ist pferdewidrig und führt zu Sauerstoffmangel, Co-Vergiftung und Ammoniakschädigung der Atemwege
  2. Boxenhaltung von Fohlen (keine 24 Stunden Bewegung in der Herde auf hartem Boden) führt zu schlechtem Wachstum von Knochen und Sehnengewebe, sowie der Hufe.
  3. Bei ausreichender Bewegung ist Abrieb und Nachschub der Hufe im gesunden Gleichgewicht und das Horn bedarf keines Schutzes, was bei Bewegungsmangel und ammoniakhaltiger Einstreu in Boxen notwendig ist.
  4. Die vielfältigen unterschiedlichen Rasseeinflüsse verlangen unterschiedliche Böden zur gesunden Entwicklung des Skelettes und Gesunderhaltung der Hufe.
  5. Die vielfältigen Schädigungen von Hufbeschlag sind seit Jahrhunderten bekannt, dokumentiert und wissenschaftlich nachgewiesen.
  6. Für jedermann ist durch Beobachtung frei lebender Tiere nachprüfbar, dass Pferde – gleich welcher Rasse – täglich ausführlich im Wasser baden.
  7. Pferde, die artgerecht in der Natur leben, haben bis ins hohe Alter gesunde Zähne (Untersuchungen aus Südafrika mit verschiedenen Rassen). Wenn Zahnbehandlung nötig wird, liegt das an der Gebißzäumung und daran, daß die Pferde bei der Nahrungsaufnahme nicht mit senkrechtem Kopf kauen (Prof. R.W. Cook, Publikation u.a. in „Pferdeheilkunde“). Notwendige Zahnbehandlung ist also ein Beweis für nicht artgerechte Lebensbedingungen von Pferden.
  8. Sobald der Sportkamerad mit Hilfsmitteln, die Einschränkungen oder Schmerzen beim Pferd verursachen können, zu irgendwelchen Leistungen für den Menschen gebracht werden müssen, ist das nicht artgerecht. „

Paschel: Da ich schon selbst auf dem Hofgestüt im Rahmen eines Lehrganges der FN war, kann ich bestätigen, dass alles, was sie nennen, in Dillenburg relevant ist. Jetzt haben sogar mehrere Veterinärmediziner, die als Zahnärzte die Pferde am Hofgestüt behandeln, die Gründe der Ministerin in Frage gestellt. Warum brauchen die Pferde dort so viele Zahnmediziner?

Gezeigt werden physische Traumata von Kiefer und Zähnen, verursacht durch das Trensengebiss: 1 = Knochensporne auf den scharfen Knochenkanten des Unterkiefers; 2 = Erosion der ersten drei Backenzähne von konstantem Gebissdruck eines Pferdes, das versucht, sich zu verteidigen, indem es das Gebiss mit den Zähnen packt; 3 = Verlust des ersten Backenzahns; 4 = Entzündung der Zahnalveole. Vergleiche mit dem normalen Kiefer oben. © Foto: Robert Cook
Gezeigt werden physische Traumata von Kiefer und Zähnen, verursacht durch das Trensengebiss:
1 = Knochensporne auf den scharfen Knochenkanten des Unterkiefers; 2 = Erosion der ersten drei Backenzähne von konstantem Gebissdruck eines Pferdes, das versucht, sich zu verteidigen, indem es das Gebiss mit den Zähnen packt; 3 = Verlust des ersten Backenzahns; 4 = Entzündung der Zahnalveole.
Vergleiche mit dem normalen Kiefer oben. © Foto: Robert Cook

Strasser: Bei meinen Reisen in die Gegenden, wo Pferde in weiten Reservaten leben, konnte ich von entsprechenden Rangern bestätigt bekommen und mir an eingesammelten Schädeln selber ein Bild machen, dass frei lebende Pferde aller Zuchtrassen bis ins hohe Alter ohne Zahnprobleme leben, sofern sie mit gesunder Kieferstellung ausgewildert worden waren. In Südafrika gab es ein entsprechendes Forschungsprojekt über die Veränderungen bei ehemaligen Sportpferden, nachdem sie jahrelang wie Wildpferde lebten.

Wenn Pferde gezwungen sind, mit  zurückgezogenem Unterkiefer zu Kauen, weil sie nicht vom Boden, sondern entgegen ihrer Natur und der Pferdeanatomie aus Tischhöhe mit gehobenem Kopf das  Krippenfutter oder Heu aus Raufen fressen und gegen die „Gebisse“ der Zäumung ankauen müssen, führt das zu unphysiologischer Abnutzung und dadurch Schädigung, genau so wie der Druck von eisernen „Gebissen“ gegen die Prämolaren (Backenzähne). Auch das sind tierschutzrelevante Zustände, die abgeschafft werden müssen, besonders schon bei der Reitausbildung von Jugendlichen.

Paschel: Jetzt, am 24. Juli, erfahre ich aus der Tageszeitung zum Landgestüt Dillenburg, dass die Tierschutzbeauftragte der FN, Frau Dr. Christiane Müller, sagt: „Für alle Pferdehaltungen ist es erstrebenswert, den Tieren so viel freie Bewegung wie möglich zu bieten. Dass dies im Landgestüt noch ausbaufähig ist, ist allen bewusst. Und genau hier wollen wir ansetzen. Die Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation sind da, sie müssen aber auch aufgezeigt und umgesetzt werden“.

Jeder Politiker würde ausgelacht wegen einer solchen Aussage, nachdem er Jahre und Jahrzehnte vorher anscheinend geschlafen hat.

Strasser: Sicher gibt es auch in Dillenburg die Möglichkeit, diese tierschutzwidrigen Bedingungen abzustellen und artgerechte Pferdehaltung und artgerechten Umgang mit Pferden zu schaffen.  Das macht erhebliche Mühe und Kosten und muss sich zunächst einmal in den Köpfen der FN-Verantwortlichen, den Gestütsleitern, Pferdewirten, Tierärzten etablieren. Das ist sicher ebenso schwierig wie die Veränderungen in der so genannten Massentierhaltung herbeizuführen. Eine Schlüsselrolle käme den Tierärzten zu. Da diese aber – wie vorher erwähnt – so ausgebildet werden, dass die tierschutzrelevanten Belange für sie die Norm sind, braucht es möglicherweise einen Generationswechsel – auch was die tierärztlichen Lehrbücher betrifft – bevor sich etwas ändert. Insofern ist eine Schließung des Gestüts für die dortigen Pferde die schnellste Hilfe, sofern sie auf Anlagen mit artgerechter Haltung verteilt werden. Und es werden keine Jugendlichen mehr in tierschutzwidrigem Umgang mit Pferden ausgebildet.

Paschel: Vielen Dank Frau Strasser für diese lehrreichen Worte, die eigentlich für Jedermann verständlich sein sollten.

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Mehr Informationen

unter http://www.hufklinik.de

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