Luhmühlen. In den vergangenen Jahren wurden Schutzmaßnahmen beim Geländeritt getroffen. Dennoch wurde nun ein Pferd eingeschläfert.

Die Reiterwelt in Luhmühlen. Die großen Tage des Vielseitigkeitssports mit der Weltelite in der Viersterneprüfung und dem spektakulären Wettstreit der beliebtesten deutschen Reiter um die nationale Meisterschaft.

Und wieder mehr als 20.000 Besucher in der sonnigen Westergellersener Heide. Ein Fest des reiterlichen Dreikampfes, der sich gern als Krone der Reiterei präsentiert. Das hätte es werden können. Das hätte es werden sollen. Und dann der Sturz einer jungen Reiterin. Und der Tod ihres Pferdes.

Erster Ausritt in die Weltelite für Chloe Raty

Es ist Sonnabendmorgen kurz nach zehn. Der Geländeritt, das Herzstück der Vielseitigkeit. Und in der Viersterneprüfung die härteste Herausforderung, die Champions League der Vielseitigkeit. Die Belgierin Chloe Raty (24) wagt ihren ersten Ausritt in der Weltelite. Auch ihr elfjähriger Wallach Axel Z ist nie vorher die schwierigste Geländestrecke galoppiert. Alles geht gut, selbst im spektakulären Meßmerteich. Aber beim Ausritt noch einmal ein Steilsprung. Der Wallach bleibt mit dem Vorderhuf hängen, überschlägt sich, fällt auf die Reiterin.

Die Nachricht vom Unfall dämpft die Stimmung. Bei der einberufenen Pressekonferenz wird Genaueres mitgeteilt. Chloe Raty liegt im Krankenhaus in Winsen. „Ihr Airbag hat sich bei dem Sturz geöffnet“, verkündet Tierarzt Jürgen Martens, der mit Kollegen gleich zur Stelle war. „Sie hat keine ernsten Verletzungen.“ Diese glückliche Nachricht war schon über die Lautsprecher verkündet worden.

„Das Pferd haben wir zuerst stabilisiert. Aber wir haben ihn nicht mehr auf die Beine gebracht“, fährt der verantwortliche Tierarzt fort. „Wir haben den Wallach narkotisiert und in die Tierklinik nach Nindorf gefahren. Er ist aus etwa einem Meter Höhe auf den Rücken gefallen und hat sich dabei den ersten Lendenwirbel gebrochen. Er wäre für immer gelähmt geblieben. Mit Einwilligung der Reiterin und des Besitzers wurde das Pferd eingeschläfert.“

Tödlicher Sturz sorgte für neue Schutzmaßnahmen

Das ist die Tragik, und das ist die Nachricht, die das Turnier in Luhmühlen überschattet. Und traurige Erinnerungen weckt. Fünf Jahre sind vergangen, seit P`tite Bombe hier im Gelände tödlich stürzte. Viel bedrückender ist der Tod des jungen Benjamin Winter in Erinnerung, der erst vier Jahre zurückliegt.

Der hat zahlreiche neue Schutzmaßnahmen vor allem für die Geländeprüfungen nach sich gezogen. Eine der wichtigsten: Viele der ursprünglich festen Hindernisse wurden durch solche ersetzt, die beim harten Aufprall eines Pferdes nachgeben und zusammenbrechen. Die Tragik von Luhmühlen: Genau ein solches Hindernis wurde jetzt Wallach Axel Z zum Verhängnis.

„Das Hindernis 18b hat ein MIM-System“, erläuterte der verantwortliche Parcours-Chef Mike Etherington-Smith. „Bei einem Aufprall brechen Stifte, und das Hindernis bricht zusammen. Das Pferd aber hat das Hindernis nur so leicht berührt, dass der Schutz nicht funktionierte. Das war das Tragische. Und bei all unseren Bemühungen: Es gibt keine Garantie, alle Risiken völlig auszuschalten.“

Aber natürlich werden wieder Stimmen laut, die den gesamten Vielseitigkeitssport infrage stellen. Dabei hat sich in keiner Reitdisziplin in den vergangenen Jahren so viel verbessert wie in diesem Wettbewerb mit Dressur, Geländeritt und abschließendem Springen.

Dass aus Luhmühlen, diesem kleinen Heidedorf mit ursprünglich sieben Gehöften, ein weltweit anerkannter und hoch gelobter Mittelpunkt der Vielseitigkeit wurde, ist und bleibt eine märchenhafte Geschichte. Allerdings: Der Reitsport und die Pferdezucht haben auch in der Heide eine jahrhundertealte Tradition.

Umgang mit Pferden hat sich verändert

Hier wurde der Nachschub für die Kavallerie, die Pferde für den Krieg, gezüchtet. Entsprechend war der Umgang mit ihnen hart und drakonisch. Der Mensch musste selbst zuerst lernen, dass der Rohrstock nicht das geeignete Mittel ist, um die eigenen Kinder auf das Leben vorzubereiten. Und so lange ist es noch nicht her, dass auch im Sport mit den vierbeinigen Partnern ein Umdenken begann. Wie weit das heute geht, dafür gab es eine Stunde vor dem tödlichen Sturz ein besonderes Beispiel.

2014 hatte Andreas Dibowski, der Olympiasieger aus dem nahen Döhle, in Frankreich einen ähnlich Unfall mit Llanero. Der Wallach war auf ihn gefallen, Dibowski hatte monatelang nicht reiten können. „Aber wir haben wieder zusammengefunden“, erzählt er nach seinem Geländeritt. „Das Pferd hatte vor mir Angst und ich vor ihm. Behutsam, ohne jeden Druck haben wir Vertrauen aufgebaut, er in mich und ich in ihn. Ich muss gestehen, in all meinen Jahren im Spitzensport habe ich so etwas noch nie erlebt und auch nicht für möglich gehalten. Jetzt bin ich überzeugt, wir beide können im Spitzensport noch alles erreichen.“

Alle, die jetzt wieder die Reiterei und vor allem die Vielseitigkeit kritisieren, muss man daran erinnern: Der Reitsport ist längst in der Hauptsache eine Liebe von jungen Mädchen und Frauen geworden, die im Umgang mit ihren Pferden die nötige Sensibilität pflegen.

Man muss ja nur auf die aktuellen Siegerlisten von Luhmühlen schauen. Und auf Chloe Raty. Bevor sie aus dem Krankenhaus ihre Heimreise antrat, hat sie das Turnierteam wissen lassen: „Ich komme ohne meinen Alex zurück, den ich sehr geliebt habe. Deshalb will ich mich bei allen bedanken, die sich so um ihn bemüht und ihm das Ende leichter gemacht haben.“