Seit gut elf Jahren lenkt Astrid von Velsen-Zerweck als Landoberstallmeisterin und erste Frau in dieser Position die Geschicke des Haupt- und Landgestüts Marbach. Eine Fülle von Aufgaben, Herausforderungen und spannenden Ereignissen prägen ihren Arbeitsalltag. Gibt es dennoch eine Begebenheit, an die sie sich besonders gern erinnert und die sie als Höhepunkt für das Gestüt empfunden hat? Ohne lange zu überlegen nennt sie im Gespräch mit unserer Zeitung gleich ein ganzes Jahr, nämlich 2014. „Das Jubiläumsjahr 500 Jahre Marbach haben wir mit sehr vielen schönen Veranstaltungen, tollen Gästen und unseren Pferden gefeiert“.
Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1514. Sie erhebt Marbach in den Rang des ältesten Staatsgestüts in Deutschland. Damit sind zwei Kernaufgaben definiert: Die Tradition lebendig zu halten und zugleich die Grundlagen zu schaffen für eine ökonomisch erfolgreiche Arbeit einschließlich der Umsetzung moderner Standards in der Pferdezucht. Seit 1996 wird das Gestüt als Landesbetrieb geführt und ist daher zu einer wirtschaftlichen Betriebsführung verpflichtet. „Wir können aber nicht nur die Ökonomie in den Mittelpunkt stellen“, betont von Velsen-Zerweck. Vor dem Hintergrund der Defizite stellten zu Beginn des Jahrtausends einige Landespolitiker den Fortbestand des Gestüts in Frage. Glücklicherweise ohne Erfolg. Mit der 2005 ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe „Marbach 2009“ wurden die Weichen für eine effektive Umstrukturierung gestellt. Im Fokus standen neben der Pferdezucht als Kernaufgabe auch die Ausbildung von Nachwuchskräften sowie die Förderung des Tourismus und der Erhalt der Kulturlandschaft.
Als neue Gestütsleiterin stieg von Velsen-Zerweck mitten in diesen Prozess ein. „Der Betrieb war sehr gut verwaltet, aber die Strukturen nicht mehr zeitgemäß“, erinnert sie sich an die Anfänge in Marbach. Seither haben sich viele Bereiche rasant verändert. Als zwei kleine Beispiele nennt sie neben der Präsenz in den sozialen Medien die heute im Internet laufend aktualisierten Informationen und die Öffnung vieler Veranstaltungen im Gestüt für ein breiteres Publikum, während bis dato vor allem die Fachwelt als Zielgruppe galt. Die Umsetzung von modernsten Erkenntnissen in der Pferdehaltung erfolgt dabei im Spannungsfeld mit den Anforderungen der Denkmalschützer. In Verbindung mit der betrieblichen Umstrukturierung, die mit einem Abbau von Personal und einer Senkung der Zuschüsse einherging, erfolgten in Marbach in den Jahren 2010 und 2011 Investitionen in Höhe von sieben Millionen Euro aus dem Landes- und Zukunftsinvestitionsprogramm. Zuvor hatte es mehr als 30 Jahre lang keine nennenswerten Baumaßnahmen gegeben.
Neben dem Erhalt des materiellen Kulturerbes mit Gebäuden, Kutschen, der Reit- und Fahrausrüstung, Gemälden oder Stutbüchern kommt dem immateriellen Erbe, also der Sicherung des Bestands der alten, zum Teil vom Aussterben bedrohten, Pferderassen die entscheidende Bedeutung zu. Neben den Schwarzwälder Kaltblütern, für die das Landgestüt Hengsthalter ist, sind dies die Alt-Württemberger und Weil-Marbacher Vollblutaraber, deren Zucht 1817 von König Wilhelm I. begonnen worden war. „Bei den Warmblütern erhalten wir einzelne Blutlinien und setzen uns insbesondere für das Angebot blutgeprägter Veredler ein“, fügt die Gestütschefin hinzu. Hohe Bedeutung genießen die Bewahrung und die Weitergabe des über Generationen hinweg gesammelten Wissens sowie der speziellen Fertigkeiten in der Pferdezucht sowie -pflege. Den besten Weg dazu bietet die praxisbezogene Berufsausbildung, bei der Fähigkeiten und Fertigkeiten an jüngere Leute weitergegeben werden. „Wir sind mit fast 50 Plätzen der größte Ausbildungsbetrieb für Pferdewirte in Deutschland“. 200 Bewerbungen gehen alljährlich ein, in die Auswahl – fast 90 Prozent sind junge Frauen – investiert das Gestüt viel Zeit. Interessierte junge Leute müssen sportlich sein, ein naturwissenschaftliches Interesse mitbringen und reiten können. „Und natürlich die Bereitschaft, an Wochenenden oder abends zu arbeiten und bei jedem Wetter draußen zu sein“, fügt von Velsen-Zerweck hinzu. Neben den Pferdewirten werden zwei Landwirte und ein Hufbeschlagschmied ausgebildet. Bis November können junge Leute ihre Bewerbung abgeben. In Marbach befinden sich zudem die Landesreit- und Landesfahrschule sowie das Kompetenzzentrum Pferd. Regelmäßig ergänzen Praktikanten der Verwaltungshochschulen die Belegschaft.
Das Pferd nimmt eine herausragende Rolle im ländlichen Raum ein. „Drei bis vier Pferde sichern einen Arbeitsplatz“, sagt die Gestütsleiterin, „und die Tiere prägen die Kulturlandschaft, weil sie das Futter von extensiv bewirtschafteten Flächen benötigen“. So kooperiert Marbach als wichtiger Partner eng mit dem Biosphärengebiet und das Infozentrum im Gestüt hat die größte Besucherzahl. „In seiner vollständig erhaltenen Form ist Marbach einzigartig“, betont von Velsen-Zerweck, „und Besucher können die Arbeit im Gestüt live miterleben“. Mehr als 500 000 Tagesgäste aus vielen Ländern nutzen dies und schätzen die vielfältigen Informations- und Führungsangebote. Das gilt auch für Kindergärten und Schulen. Eingeschlossen sind natürlich auch Menschen mit Handicap, Marbach kooperiert mit Betreuungseinrichtungen in der Region.
Sie selbst schätzt an ihrer Arbeit vor allem die Vielseitigkeit – „kein Tag gleicht dem anderen“ – und die enge Verbundenheit mit der Natur. „Es ist ein Beruf im umfassenden Sinn, ein Leben mit dem Gestüt, der Natur, den Tieren und Mitarbeitern“. Und ihre Arbeit ähnle ein wenig der eines Bürgermeisters.
Die Bedeutung Marbachs spiegelt sich auch in dem Ziel, die Europameisterschaft der Vielseitigkeitsreiter 2023 auszutragen. „Dazu haben wir mit dem Amt für Vermögen und Bau einen Masterplan zur Sanierung ausgearbeitet“. Neben der Schaffung der sportlichen Voraussetzungen geht es im Grundsatz um die Weiterentwicklung des Gestüts. Ein Teil der Arbeiten ist unverzichtbar. So muss das Stadion saniert und ein Teil der Tribüne überdacht werden. Ein moderner Abreitplatz ist erforderlich und die alte Veranstaltungshalle soll durch ein zeitgemäßes Gebäude ergänzt werden. „Investitionen in diesem Umfang können wir aus dem laufenden Haushalt nicht finanzieren“, betont von Velsen-Zerweck. Die Entscheidung aus Stuttgart steht noch aus.