Aachen. Die Dressurreiterin feiert am Sonntag beim CHIO in Aachen ihren 50. Geburtstag und spricht im Interview über ihre lange Karriere.

Diese Frau ist ein Phänomen. Seit 30 Jahren ist Isabell Werth im Reitsport eine feste Größe. Mit sechs Olympiasiegen, neun Weltmeister- und 17 Europameistertiteln ist sie die erfolgreichste Reiterin der Dressur-Geschichte. Beim CHIO in Aachen hat sie zwölf Mal im Einzel gewonnen. Mit fünf verschiedenen Pferden. Am Sonntag feierte die Rheinbergerin ihren 50. Geburtstag. Im Geburtstags-Interview erzählt sie, welches historische Ereignis stattfand, als ihre Mutter mit ihr in den Wehen lag. Sie schwärmt von ihrer Stute Bella Rose und gesteht, dass sie Pferde besser erziehen kann als ihren Sohn Frederik.

Frau Werth, für Sonntag haben sich einfach Tausende Menschen selbst zu Ihrem Geburtstag eingeladen. Hätten Sie den Tag lieber ein wenig ruhiger gefeiert?

Isabell Werth: Alle sind herzlich willkommen. Ich versuche mich, nur auf das Reiten zu konzentrieren. Der Geburtstag ist zufällig an diesem Tag und absolute Nebensache.

Feiern Sie den Geburtstag mit Ihrer Familie nach?

Ich bin nicht der Typ, der an Geburtstagen Mega-Partys veranstaltet. So wird es auch am Sonntagabend sein. Ein gemütliches Abendessen mit der Familie wird es aber sicherlich geben.

Es gibt Ereignisse, von denen die meisten Menschen wissen, wie und wo sie diese verfolgt haben. Zum Beispiel das schreckliche Attentat vom 11. September 2001. Oder auch die Mondlandung vom 20. Juli 1969, die Ihre Mutter in besonderer Erinnerung hat, oder?

Ja, natürlich. Das hat sie verinnerlicht. Meine Mutter lag zu dieser Zeit mit mir in den Wehen im Kreißsaal. Die Hebamme ist hereingekommen und hat erzählt, dass Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betreten hat.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Start beim CHIO hier in Aachen erinnern?

Oh ja, sehr gut. Das neue Stadion war noch nicht gebaut. Ich bin mit Weingart an den Start gegangen. Aber wann war es? Puh, lange her. Ich denke 1988.

Was macht den CHIO in Aachen so besonders?

Es ist die einzigartige Mischung aus Weltklassesport, Volksfest und gesellschaftlichem Ereignis. Für jeden ist etwas dabei, von der High Society bis zum kleinen Kind. Wenn ich ins Viereck reite, dann knistert es, dann prickelt es in mir. Ich wohne in Rheinberg. Das sind nur 100 Kilometer von hier. Ich liebe dieses Heimspiel.

Sie halten viele Rekorde im Dressurreiten. Auch in Aachen hat keiner so oft gewonnen wie Sie. Bereits am Donnerstag haben Sie mit Bella Rose als Siegerin im Grand Prix geglänzt. Kommen am Wochenende die nächsten Erfolge hinzu?

Das ist ein bisschen, wie in die Kugel schauen. Ich bin mit Bella Rose und Emilio hier. Die Pferde sind sehr gut drauf. Ich hoffentlich auch, aber es kann immer etwas passieren.

Sie sind die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt. Wie leben Sie mit diesem Superlativ?

Ganz ehrlich, ich denke darüber nur sehr, sehr selten nach. Es freut mich und es macht mich auch stolz, dass sich all die harte Arbeit der vielen Jahre in Titel niedergeschlagen haben. Nicht die Anzahl der Medaillen ist mir wichtig, sondern die Art und Weise, wie ich verschiedene Pferde nach oben gebracht habe. Es macht mir Spaß, Visionen zu entwickeln und deshalb werde ich auch nicht müde, so weiter zu machen.

Was ist Ihre besondere Gabe?

Es ist natürlich ein Talent, eine Intuition, sich in Pferde hinein zu fühlen und Probleme zu lösen. Es ist ein Gesamtpaket über die Jahre. Ich bin meiner Freundin und Mäzenin Madeleine Winter-Schulze unendlich dankbar, dass sie mir immer wieder die geeigneten Pferde zur Verfügung stellt.

Sie haben viele Pferde geritten. Wie unterscheiden sie sich?

Die erfolgreichsten haben eine große Gehfreude, eine gewisse Genialität, eine riesige Leistungsbereitschaft. Sie können aber unterschiedliche Charaktere haben. Weihegold ist zuverlässig, Bella Rose hat ihr eigenes Temperament. Satchmo war genial, aber zwischendurch auch ein bisschen wahnsinnig. Ich habe zwei Jahre lang keine Lösung gefunden, wie ich mit diesem Pferd zurechtkommen soll.

War das Ihr schwerster Fall?

Ja. Für alle Pferde, die danach kamen, war es ein sehr großer Vorteil, weil ich mit Satchmo so viel gelernt habe. Ich habe in ihn hineingehorcht, alles überdacht. Was gestern richtig war, konnte morgen schon falsch sein. Am Ende habe ich eine Lösung gefunden. 2006 habe ich hier in Aachen vor 40.000 Zuschauern mit ihm ein unvergessliches Comeback gefeiert.

Sie werden 50. Da blickt man nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Denken Sie auch schon mal ans Karriereende?

Wir sind in unserem Sport relativ unabhängig. Bei uns sagt nicht die biologische Uhr mit Mitte 30, so das war’s. Es hängt davon ab, wie sich meine Pferde weiter entwickeln. Reiten werde ich mein Leben lang. Wann ich meine Karriere beende, kann ich nicht nach Jahr und Tag benennen. Es wird aber nicht von einem bestimmten Sieg oder so abhängig sein. Mein Kopf wird sagen, so, jetzt reicht es. So lange es noch ordentlich aussieht, werde ich noch ein paar Tage weitermachen.

Sie haben schon mal gesagt, Sie könnten später mal der TT, der Turniertrottel Ihres Sohnes Frederik werden. Er reitet und Sie helfen ihm.

Danach sieht es aber im Moment nicht aus. Er ist neun Jahre alt und fährt lieber Trecker. Ab und zu reitet er. Die Hauptsache ist, er findet etwas, was ihm Spaß macht.

Sie haben Dutzende Pferde erzogen. Kann man aus diesen Erfahrungen etwas für die Kindererziehung nutzen?

In der Kindererziehung bin ich nicht so gut wie in der Pferdeerziehung. Wahrscheinlich bin ich mit Frederik nicht so konsequent. Und das schlechte Gewissen spielt auch eine Rolle, weil ich manchmal nicht so viel Zeit mit meinem Kind verbringen kann, wie ich es möchte. Wir sind keine normale Familie. Unser Wochenendausflug heißt Turnier. Bisher findet er das aber glücklicherweise gut. Hier in Aachen ist er Dauergast im Kinderland. Da kann er mit vielen Kindern spielen.

Sie sind Managerin eines Pferdebetriebs mit vielen Angestellten, Sie sind die beste Reiterin der Welt, Sie haben Mann und Kind. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Das geht nur, weil alle das gesamte Projekt mittragen. Frederik fährt sehr gern mit, mein Lebensgefährte steht hundertprozentig hinter mir. Ich wohne mit meinen Eltern auf unserem Hof zusammen, aber trotzdem so weit auseinander, dass es nicht zu eng wird. Ich bin in einer sehr privilegierten Situation. Ich bin sehr glücklich, das machen zu können, was ich liebe.

Novak Djokovic war nach seinem Wimbledon-Triumph sehr kühl. Sie lassen dagegen Ihre Emotionen heraus.

Nach Niederlagen wird man mich nicht weinen sehen, da würde ich mich eher eingraben. Aber vor Freude, vor Rührung weine ich oft, weil ich sehr nah am Wasser gebaut bin. Ich bin eine Frohnatur, ich habe keinen Grund, griesgrämig zu sein. Im Stall trete ich aber auch schon mal vor Wut gegen eine Tür, wenn etwas nicht gut gelaufen ist.

Im vergangenen Jahr haben Sie große Emotionen gezeigt, als Sie hier in Aachen mit Bella Rose nach deren jahrelangen Verletzungspause ein grandioses Comeback gefeiert haben. Wäre es das perfekte Glück, wenn Sie mit Bella Rose im nächsten Jahr Olympiasiegerin würden?

Es wäre schon ein Höhepunkt, wenn ich mich mit ihr qualifiziere. Mit ihr in Tokio zu starten, wäre ein großer Traum.

Ist Bella Rose Ihr Lieblingspferd?

Ja. Ich habe nie gesagt, ich habe ein Lieblingspferd. Das ist so wie bei einer Mutter, die sagen würde, sie hätte ein Lieblingskind. Was sollen dann die anderen sagen, die daneben stehen? Frederik ist Einzelkind, da besteht nicht das Problem. Leider. Ich hätte gern mehr Kinder und ein paar Medaillen weniger. Aber Bella Rose ist mein Lieblingspferd. Ich war elektrisiert, als ich sie als dreijährige Stute erstmals gesehen habe. In ihrer dreijährigen Verletzungspause habe ich mich so um sie gekümmert wie um kein anderes. Sie hat Charisma. Sie vereint alle Vorzüge, die andere nur teilweise haben.

Wer könnte Bella Rose irgendwann ablösen?

Ich habe mit dem zehnjährigen Belantis und der siebenjährigen Superb zwei Pferde im Stall, die sehr viel versprechen.

Vor zehn Jahren haben Sie Ihren 40. Geburtstag ganz anders gefeiert. Damals mussten Sie wegen eines Dopingfalls bei Ihrem Pferd Whisper vor dem Verbandsausschuss aussagen. War dies der schwerste Moment in Ihrer Karriere?

Ja. Ich wusste es gar nicht mehr, dass es am Geburtstag war. Daran kann man sehen, dass man schlimme Ereignisse in sich begräbt.

Sie haben eine sechsmonatige Sperre erhalten, weil in Ihrem Pferd Spuren des Mittels Fluphenazin gefunden wurden. Wie sehen Sie den Dopingfall im Nachhinein?

Das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht. Ich hatte gar nicht die Chance, das in der Öffentlichkeit richtig zu erklären. Ich habe ein Pferd behandelt und dachte, alles sei in Ordnung. Und trotzdem ist die Welt über mich hergefallen. Am Ende habe ich die Zeit durchgestanden dank eines kleinen Kreises, der mich unterstützt hat. Es hat mich sehr vorsichtig gemacht, was die Behandlung der Pferde betrifft. Mittlerweile haben viele verstanden, dass zwischen Doping und Therapie bei Pferden ein ganz schmaler Grat herrscht.

Wie werden Sie denn wohl Ihren 60. Geburtstag feiern?

Keine Ahnung. Ich hoffe erst einmal gesund und im Kreis meiner Familie.

In Aachen? Im Sattel?

Ob in Aachen, das weiß ich nicht. Aber im Sattel werde ich dann hier mit 60 Jahren ganz sicher nicht mehr sitzen.