München – Am Sonntag, dem 9. November, geht es für Holger Wulschner um den letzten Schritt zu einem Riesenerfolg. Der Springreiter aus dem mecklenburgischen Groß Viegeln kann bei den Munich Indoors im Großen Preis (Beginn 13.00 Uhr) die Gesamtwertung der internationalen DKB-Riders Tour gewinnen. Auf den Tag genau 25 Jahre nachdem am 9. November 1989 entlang der deutsch-deutschen Grenze Tore und Schlagbäume aufgingen und in Berlin die Mauer ´fiel`…
“Ich dachte es ist ein Scherz, da ist was getürkt,” erinnert sich der 50 Jahre alte Favorit auf den begehrten Tour-Sieg an jenen Abend, an dem er ungläubig vor dem Fernseher saß. “Zu der Zeit war ich als Bereiter auf der ZBG Schlaiz bei Halle angestellt. Der Vorsitzende Werner Rösch war ein richtig Pferdeverrückter, der Betrieb lief gut.” Den Bildern im Fernsehen mochte Wulschner zunächst nicht vertrauen. “Leipzig ist nicht weit weg und wir haben uns wegen der Montags-Demos ständig Sorgen gemacht,” so der Springreiter, “ich dachte, das lassen sich die DDR-Oberen nicht mehr lange bieten, da passiert was.” Nur zögerlich sickerte durch, das tatsächlich stimmt, was über den Bildschirm flimmert…
Vergessen hat Holger Wulschner diesen Tag genauso wenig wie alle anderen die ihn erlebt haben. 25 Jahre später kann der Nationenpreisreiter und Derbysieger als “Rider of the Year” in München auftrumpfen. Sein Vorsprung ist nicht uneinholbar aber üppig mit 19 Punkten.Und dafür fährt er auch gern rund 800 Kilometer aus Groß Viegeln vor den Toren Rostocks bis in die bayrische Metropole. Neben dem zum Greifen nahen persönlichen Erfolg, hat der Tour-Sieg für Wulschner eine zusätzliche Bedeutung: “Der Titelsponsor der DKB-Riders Tour ist auch mein Sponsor und ich kann mit einem Sieg endlich etwas zurückgeben. Das Unternehmen investiert viel und das seit Jahren in das Reitsportsponsoring. Für mich ist es das Wichtigste überhaupt, dass wir solche Partner halten und weiter für den Sport begeistern können.”
Wulschner ist DKB-Teamathlet, so wie auch sein Kollege Lars Nieberg, so wie Diskus-Olympiasieger Robert Harting oder Speerwurf-Weltmeisterin Christina Obergföll u.a.. Das erlaubt ihm, manches etwas entspannter anzugehen.
Auch eine Situation wie 2014, als kurz nach dem Auftakt-Sieg in der DKB-Riders Tour im April mit der Stute Fine Lady ausgerechnet dieses Pferd vom kanadischen Olympiasieger Eric Lamaze gekauft wurde. Es war ihr vierter Grand Prix-Sieg innerhalb weniger Monate und es war - bei aller Professionalität - ein harter Schlag für Holger Wulschner. Er mußte umplanen für die DKB-Riders Tour und Nationenpreiseinsätze: ChaChaCha und Cavity G waren gefordert und machten ihre Sache gut.
“Wir haben in diesem Jahr alles etwas anders gemacht und ich denke das war richtig,” sinniert Holger Wulschner. “Wir haben die grüne Saison in Spanien in Oliva Nova begonnen, die Pferde haben andere Pausen bekommen und ich habe den Bestand verkleinert. Jetzt reite ich von 08.00 bis 14.00 Uhr und dann kann man sich überlegen welches Pferd am Nachmittag nochmal andere Arbeit bekommt, Abwechslung braucht.” Die Ergebnisse geben dem Springreiter, der in Brandenburg zur Welt kam und schon als kleiner Junge mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter zum Reiten radelte, Recht. “ChaChaCha war sehr gut in Gang, Cavity nach einer Verletzung im Frühjahr genau rechtzeitig wieder fit. Ich konnte in Wiesbaden Punkte sammeln, war in Münster Zweiter,” so Wulschner, “nur Paderborn, die letzte Etappe vor München, die habe ich richtig vergeigt. Das war allein meine Schuld. Ich bin geritten, als hätte ich gerade mal eine Reitabzeichenprüfung im Leben geschafft…” Kurz und gut - wie ein Anfänger.
Das soll ihm am Sonntag, dem 9. November 2014, in der Münchner Olympiahalle nicht passieren: “Ich sehe das überhaupt nicht als Selbstgänger. In diesem Jahr war ich so oft Zweiter, das reicht.” Wulschner kommt gut vorbereitet zu den Munich Indoors. Er hat mit Ehefrau Astrid ein paar Tage Urlaub gemacht, die Pferde seien tipp-top in Schuss, sagt er und letzte Woche bei einem kleineren Turnier zur Formerhaltung tadellos gesprungen. Er müsste runterfallen oder auf Platz 16 und schlechter im Großen Preis landen. Sein Verfolger Toni Haßmann aus Münster muss allerdings gleichzeitig gewinnen - dann wäre der erste DKB-Riders Tour-Gesamtsieg dahin. “Dienstag bin ich runtergefallen,” scherzt Wulschner, “das wäre zumindest schon mal erledigt.”
Kann sein, dass am 9. November um 13.00 Uhr in Münchens Olympiahalle auch eine Mauer steht. Der internationale Parcourschef Frank Rothenberger aus Bünde baut ganz gern eine in den Parcours ein. “Ich weiß es noch nicht, das entscheide ich vielleicht vor Ort,” sagt der Spezialist, der auch bei WM und Weltcupfinals die Parcours baut. Wenn doch, dann wird das Holger Wulschner nicht mehr beeindrucken als sonst. Er weiß schließlich wie man über Mauern kommt und das nichts unmöglich ist.
PM