Foto: Doppelolympiasieger Michael Jung wird von Mutter Birgit auf dem Abreiteplatz geherzt. - Fotograf: Jochen Luebke - dpa
London (dpa) - Die Mama konnte es gar nicht fassen. «Haben wir wirklich Gold?», rief Brigitte Jung über den Abreiteplatz im Greenwich Park, als ihr Sohn mit Sam aus dem Parcours kam und die anderen schon jubelten.
«Wahnsinn - wo ist der Michi?» Die aufgeregte Mutter des glücklichen Geburtstagkindes war kaum zu halten und wurde von einem strengen Ordner aus einem verbotenen Bereich geschickt, während ihr «Michi» als erstes von Vater Joachim umarmt wurde.
Die Jungs sind ein Familien-Unternehmen. Der Vater ist der Trainer, die Mutter der größte Fan - und Michael der vielseitigste Reiter Deutschlands. «Ein Ausnahmereiter», schwärmte sogar der britische Weltranglisten-Erste William Fox-Pitt vom Doppel-Olympiasieger..
Jung lässt die Konkurrenz alt aussehen - dieser Schlagzeilen-Gag ist auch bei Olympia wieder ein Renner. Der 30-Jährige hat sich in wenigen Jahren in der Weltspitze etabliert. Nach Gold bei EM und WM hat er seine Sammlung mit seinem Doppel-Coup von London erweitert. Er ist auch der erste Vielseitigkeitsreiter, der gleichzeitig Welt- und Eruoameister sowie Olympiasieger ist.
«Michael ist der kompletteste Reiter», schwärmte Bundestrainer Hans Melzer. «Er ist ein unglaubliches Multi-Talent.» Jung ist nicht nur im pferdesportlichen Dreikampf spitze, sondern reitet auch in den Spezial-Disziplinen Dressur und Springen erfolgreich auf höchstem Niveau. So hat sich der Reiter aus Horb schon in jungen Jahren die notwendige Wettkampfhärte und viel Prüfungsroutine geholt.
Als erster deutscher Vielseitigkeitsreiter überhaupt gewann er 2009 den Gesamt-Weltcup und wiederholte diesen Erfolg wenige Wochen vor der WM in Lexington - wo er als erster deutscher Reiter überhaupt Einzel-Gold in der Vielseitigkeit gewann.
«Er ist unheimlich nervenstark», berichtete Melzer, der Jung bei dessen WM-Debüt deshalb sogar als Schlussreiter der Mannschaft einsetzte. Der Coach ist manchmal selber überrascht, «wie cool Michael ist». Der Gelobte beschrieb diese Stärke salopper: «Ich konzentriere mich immer nur auf mein Ding.» Und: «Ich mach eins nach dem anderen.» Nach dem Team-Gold musste er sich tatsächlich erstmal erkundigen, wann denn das Einzel beginnt.
Die Familie Jung ist nicht nur erfolgreich, sondern auch eigenwillig. Das gilt etwa für die Karriereplanung des Sohnes. Jung plante seine Laufbahn abseits des deutschen Verbandes, lehnte die Aufnahme in die Perspektiv-Gruppe ab, weil er dafür ins westfälische Warendorf hätte ziehen müssen. «Da hätte ich zu wenige Pferde mitnehmen können», erklärte Jung. Schließlich reitet er daheim am Rande des Nordschwarzwaldes auch reine Dressur- und Springpferde.
In der Vielseitigkeit hat Jung in Sam einen Weltklasse-Partner. Der Reiter bildet seine Pferde selbst aus, auch den zwölfjährigen Wallach. «Sam ist ein fantastisches Pferd», sagte Jung. «Ich bin sehr froh, dass ich ihn reiten darf.»
So selbstverständlich ist das nicht. Nach der WM wollte die damalige Mehrheits-Besitzerin Sam zu Geld machen und entführte das Pferd sogar in einer spektakulären Aktion von Jungs Hof. Es gab jedoch ein Happy End, denn mehrere Mäzene und das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei kauften die Anteile.