Unsere Dolmetscher! (Editorial Reiterjournal 05/2022)

Foto: Roland Kern - Fotograf: TOMsPIC

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Der Ball ist unser Dolmetscher.“ So soll es einst Sepp Herberger erklärt haben, der bis heute legendärste deutsche Fußball-Bundestrainer und Wundermacher von Bern (für unsere jüngeren Leser: Herberger führte die deutsche Nationalmannschaft 1954 zum ersten WM-Titel der Geschichte; er war ein Mann aus einfachen Verhältnissen, Ende der Geschichtsstunde).
Es gibt bessere Übersetzer. Solche mit Herz und Seele, nicht aus kaltem Leder. Das sind unsere Pferde. Wie man weiß, verstehen sie sowieso keine Sprache, nur Töne und Schwingungen. Woher der Mensch kommt, der mit ihnen umgeht, ist ihnen völlig egal. Auch ob er arm oder reich (an Geld) ist, ist ihnen weniger wichtig als eine Karotte. Es kommt nur darauf an, dass er ein Gefühl für sie hat.

 

Warum das jetzt wichtig ist? Weil Deutschland wie weite Teile Europas zum zweiten Mal in sieben Jahren eine gewaltige Flüchtlingskrise erlebt. Der grausame Krieg Russlands gegen die Ukraine und damit gegen die freien Demokratien des Westens vertreibt Millionen von Menschen aus ihrem Land. Wir können hier nur erahnen, welches Leid sie in diesen Wochen ertragen müssen.

 

Und wieder kommt es darauf an, wie wir die Menschen in Not bei uns auffangen. Jeder von uns wird in seiner Stadt oder seinem Dorf damit konfrontiert werden. Nach allem, was man weiß, werden viele Mütter mit Kindern zu uns kommen – Kinder, deren Väter im Krieg kämpfen. Oder vielleicht schon tot sind.
Sie brauchen Zuwendung und am besten die Geborgenheit eines warmen Fells. Wie wäre es, wenn die Reitervereine landauf landab die ukrainischen Kinder aus den Unterkünften einladen zu den Pferden, die unsere besten Dolmetscher und Menschenversteher sind? Machen wir uns nichts vor, dieser Krieg verändert unser Leben. Das sieht man am Beispiel der Energiekosten. Wir werden es alle spüren.

 

Aber sind wir mal ehrlich, wir Reiter jammern gerne – und das auf hohem Niveau. Der „Bock“ geht wieder mal nicht, die Richter haben keine Ahnung, die Meldestelle funktioniert nicht, der Reitlehrer versteht mich nicht, bei der FN sitzen sowieso nur Bürokraten und und und. Wie unpassend, ja zynisch wirken solche oft gehörten Sätze angesichts des Krieges und des Elends in der Ukraine. Die Pferde, unsere Übersetzer, lehren uns – wieder einmal – Demut. Was auf Ukrainisch übrigens смирення heißt.

 

Die neue Ausgaben von Reiterjournal und Bayerns Pferde Zucht + Sport erscheinen am Samstag, den 23. April 2022, im Handel!

 

Mit reiterlichen Grüßen

 

Ihr Roland Kern
Redaktion Reiterjournal & Bayerns Pferde Zucht+Sport

 

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