Sexualisierte Gewalt: Ein Thema auch im Pferdesport

Interview mit Maria Schierhölter-Otte / Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch im Sport

Warendorf (fn-press). Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat gestern eine Studie veröffentlicht, die bestätigt, dass sexueller Kindesmissbrauch in verschiedenen Sportarten und insbesondere im organisierten Vereinssport vorkommt. Grundlage der Auswertung waren 72 Geschichten von Betroffenen, darunter auch Betroffene aus dem Pferdesport. Wer sich schon lange mit dem Thema befasst, ist Maria Schierhölter-Otte, Leiterin der Abteilung Jugend bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Im Gespräch macht sie deutlich, was der Verband gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport tut und wie er mit dem Thema umgeht.

 

Sieben Prozent der Betroffenen in der gestern veröffentlichten Studie der Unabhängigen Kommission kommen aus dem Pferdesport. Was sagt Ihnen diese Zahl? Hat der Pferdesport ein Problem? Schließlich hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung als jüngste Maßnahme einen BetroffenenRat eingerichtet. Maria Schierhölter-Otte: Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem, von dem der Sport leider nicht ausgenommen ist. Die körperliche und emotionale Nähe, die im Sport entstehen kann, birgt leider die Gefahr sexualisierter Übergriffe. Umso notwendiger ist es für Sportverbände und -vereine, Konzepte für die Prävention von sexualisierter Gewalt zu erstellen und vor allem umzusetzen. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung beschäftigt sich zusammen mit ihren Mitglieds- und Anschlussverbänden sowie dem Deutschen Olympischen Sportbund seit geraumer Zeit mit der Frage, wie Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, bestmöglich vor Übergriffen bei der Ausübung ihres Hobbys Pferdesport geschützt werden können. Vor über über zehn Jahren haben wir die ersten Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport ergriffen. Unsere jüngste Maßnahme ist ein BetroffenenRat, den wir 2021 als erster Sportverband eingerichtet haben.Die sieben Prozent beziehen sich auf die 72 Betroffenen und nicht auf die über 664.000 Mitglieder in unseren Pferdesportvereinen. Genaue Zahlen kennen wir nicht. Am Ende ist jeder Fall einer zu viel. Die Täter, meist sind es Männer, rauben ihren Opfern eine unbeschwerte Kindheit oder Jugend. Die Betroffenen erleben ein Martyrium, das ihr ganzes Leben überschattet und beeinflusst. Das haben uns die Geschichten Betroffener deutlich gemacht, mit denen wir im BetroffenenRat zusammenarbeiten.

 

Was verspricht sich der Verband von dem BetroffenenRat?Schierhölter-Otte: Der BetroffenenRat setzt sich zusammen aus Menschen, die selber Erfahrung mit sexualisierter Gewalt oder Belästigung gemacht haben bzw. die sich für das Thema Prävention gegen sexualisierte Gewalt engagieren möchten. Der BetroffenenRat besteht aus Menschen unterschiedlicher Altersstufen und Geschlechter. `Wir erhoffen uns, dass der BetroffenenRat die FN als Impulsgeber bei der Weiterentwicklung unserer Aktivitäten zur Prävention Sexualisierter Gewalt im Pferdesport berät und wir so noch besser werden. Zugleich soll der BetroffenenRat auch unbequemer Mahner sein, der den Finger in die Wunden legt,` zitiere ich einmal unseren Generalsekretär Soenke Lauterbach, der intensiv in die Zusammenarbeit mit dem BetroffenenRat eingebunden ist. Das zeigt, welch hohen Stellenwert das Thema bei uns hat.

 

Oftmals sind Betroffene jahrelang den Manipulationen und dem Missbrauch ausgesetzt. Welchen Rat haben Sie an Betroffene? Schierhölter-Otte: Was ich aus den Gesprächen mit Betroffenen mitgenommen habe: Das Martyrium endet nur, wenn der oder die Betroffene das Schweigen bricht und sich Hilfe sucht. Ich weiß, dass sich Betroffene schämen und sich schuldig fühlen. Schuldig ist aber nur einer: der Täter. Deshalb kann ich nur jeden ermutigen, diesen Schritt zu gehen und sich Eltern, Freunden oder anderen nahestehenden Personen anzuvertrauen. Oder sich an eine der Hilfsorganisationen wie N.I.N.A. zu wenden.Oft findet der Missbrauch aber im Kindes- und Jugendalter statt. Die Betroffenen sind einfach zu jung, zu unsicher und tatsächlich auch zu unerfahren, um das Geschehen einzuordnen. Sie spüren, dass etwas nicht stimmt, fühlen sich unwohl. Deshalb kommt dem Umfeld auch eine große Verantwortung zu. Eltern, Trainer, Vereinsmitglieder, Stallkollegen – alle müssen aufmerksam sein. Wenn ihnen etwas komisch vorkommt, ist es besser, es anzusprechen als zu schweigen. Bei aller Emotion sollte man Ruhe bewahren und mit einer vertrauten Person über seine Beobachtungen oder Vermutungen sprechen. Wenn es diese Person nicht gibt oder man es außerhalb des eigenen sozialen Umfeldes besprechen möchte, so kann man sich auch an eine Fachberatungsstelle wie Innocence in Danger wenden, um seinen Verdacht einzuordnen oder die nächsten Schritte einzuleiten. Wegschauen ist auf jeden Fall keine Lösung. Das verlängert nur das Leid Betroffener. Das Gespräch führte Adelheid Borchardt.

 

Alle Informationen der FN zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Kontakte zu Beratungshotlines und Hilfe-Portalen unter: www.pferd-aktuell.de/deutsche-reiterliche-vereinigung/verbandspositionen/schutz-vor-sexualisierter-gewalt

 

Die FN engagiert sich seit über 10 Jahren gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport. Die Maßnahmen im Überblick:

 

  • In der Ausbildungs- und Prüfungsordnung (APO) wird bereits seit vielen Jahren als Zulassungskriterium zur Trainerprüfung die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses verlangt, welches nicht älter als sechs Monate alt sein darf. Darüber hinaus kann die Deutsche Reiterliche Vereinigung nach APO die Führung der Bezeichnung "Trainer" und somit auch die Trainerlizenz "aus wichtigem Grund" aberkennen.
  • Das Thema "Schutz vor sexualisierter Gewalt" wurde durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung verbindlich in das Ausbildungssystem und die Lehrkonzeption der Amateurtrainer integriert. Seit dem 1. März 2012 müssen angehende Trainer einen Ehrenkodex unterschreiben.
  • 2013 wurde für die Landesverbände ein Handlungsleitfaden mit Hinweisen zum Vorgehen bei Meldung einer Vermutung, zum Thema Öffentlichkeitsarbeit, zum Thema Präventionsmaßnahmen, Maßnahmen der FN und Ansprechpartner der FN erstellt.
  • Seit Anfang 2014 muss jede Person, die einen Trainerschein ablegen möchte und dafür einen Lehrgang besucht, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.
  • Aufgrund von Hinweisen der FN hat auch ihr Anschlussverband, die Bundesvereinigung der Berufsreiter, ihre Satzung im Hinblick auf Prävention von sexualisierter Gewalt ergänzt.
  • 2013, 2015, 2017 und 2019 wurde die FN-Satzung im Hinblick auf die Prävention von sexualisierter Gewalt und möglichen Sanktionen ergänzt (§ 3 Ziffer 3 und 4, § 15 Ziffer 6, § 22 Ziffer 4, § 23 Ziffer 3).
  • 2017 wurde die Jugendordnung der FN im Hinblick auf die Prävention von sexualisierter Gewalt ergänzt.
  • Das Thema Prävention von sexualisierter Gewalt wurde im Herbst 2018 als verbindliches Weiterbildungsmodul in das Programm der Landestrainerseminare Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Voltigieren und Fahren integriert.
  • Seit März 2019 werden bei Lehrgängen für Kaderathleten am Bundesstützpunkt in Warendorf für Junioren und Junge Reiter der Disziplinen Dressur, Springen und Vielseitigkeit freiwillige anonyme Evaluationen durchgeführt, um sicherzustellen, dass Respekt und Wertschätzung während der Maßnahmen gelebt werden und es keinen Anhaltspunkt für die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gegeben hat.
  • Im Mai 2019 hat sich die FN an einer Plakataktion des DOSB mit einem eigenen Poster beteiligt. Darüber wurden auch die Landesverbände informiert. Zudem wurde das Poster bei den FN-Tagungen vorgestellt und aktuelle Hinweise zum Thema Prävention von sexualisierter Gewalt im Beirat Sport gegeben.
  • Die FN ist als einer von vier dafür ausgewählten Spitzensportverbänden Teil eines Forschungsprojekts der Deutschen Sporthochschule Köln mit dem Titel „Trainer/innen in der Prävention sexualisierter Gewalt: Umgang mit Nähe und Distanz im Verbundsystem Nachwuchsleistungssportsystem“. Das Projekt ist im Herbst 2019 gestartet, aus dem Pferdesport nehmen vier Nachwuchsbundestrainer aus vier Disziplinen daran teil.
  • Die FN kooperiert seit dem 1. Mai 2020 mit dem Verein N.I.N.A. („Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt an Jungen und Mädchen“), der die fachliche Leitung eines Hilfe-Telefons innehat.
  • Ebenfalls seit 2020 besteht eine Kooperation mit Innocence in Danger e.V.. Innocence in Danger ist eine weltweite Bewegung gegen Missbrauch von Kindern, insbesondere die Verbreitung von Kinderpornographie durch die neuen Medien.
  • 2021 richtete die FN einen BetroffenenRat gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport ein. Der BetroffenenRat setzt sich zusammen aus Menschen, die selber Erfahrung mit sexualisierter Gewalt oder Belästigung gemacht haben bzw. die sich für das Thema Prävention gegen sexualisierte Gewalt engagieren möchten. Der BetroffenenRat besteht aus Menschen unterschiedlicher Altersstufen und Geschlechter. 
  • In einer Pressekonferenz bei den HKM Bundeschampionaten 2022 stellte der BetroffenenRat sich und seine Arbeit vor. Während der Veranstaltung machte der BetroffenenRat mit einer publikumswirksamen Aktion auf das Thema aufmerksam. 

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