„Das langfristige Wohl des Pferdes muss im Mittelpunkt stehen.“

Interview mit Dr. Henrike Lagershausen über das Pferdewohl bei den Al Shira´aa Bundeschampionaten

Im Interview erklärt Dr. Henrike Lagershausen, leitende Veterinärin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), wie das Tierwohl bei den Al Shira'aa Bundeschampionaten sichergestellt wird. Welche Rolle sie mit ihrem Team dabei hat und welche Verantwortung jeder Mensch trägt, der mit Pferden umgeht – alle Antworten im Interview.

 

fn-aktuell: Sie sind als Tierärztin bei den Al Shira’aa Bundeschampionaten in Warendorf tätig. Welche Aufgaben übernehmen Sie dort konkret?
Dr. Henrike Lagershausen: Gemeinsam mit meinem Team bin ich im Vorfeld für die Einteilung der Tierärzte an den verschiedenen Plätzen und Stallbereichen zuständig. Insgesamt sind wir in der Turnierwoche ein rund zehnköpfiges Team. Bei der Anreise der Pferde prüfen wir, ob die Pferde korrekt gegen Influenza geimpft sind. Während des Events sind wir unter anderem zuständig für die Durchführung von Medikations- und Pferdekontrollen. Zudem stehen wir jederzeit als Ansprechpartner für tierärztliche Fragen zur Verfügung. Wenn beispielsweise ein Steward auf einem Vorbereitungsplatz kurzfristig eine Einschätzung zu der Verfassung eines Pferdes benötigt, beantworten wir diese. Darüber hinaus organisieren wir die Vergabe des BMLEH Tierschutzpreises. Jener wird seit Jahren von dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat vergeben.

 

fn-aktuell: Welche Vorkehrungen werden vor und während der Veranstaltung getroffen, um das Wohl der Pferde zu gewährleisten?
Dr. Lagershausen: Ganz am Anfang steht die Kontrolle des Impfschutzes, denn wir wollen, dass nur korrekt geimpfte Pferde in die Stallbereiche gelangen. Auf dem gesamten Gelände sind mehrere Tierärzte parallel im Einsatz, um einerseits im Fall der Fälle ein verletztes Pferd schnellstmöglich gut versorgen zu können. Falls ein Transport zu einer Pferdeklinik nötig wird, stehen mehrere fahrbereite Transporter zur Verfügung. Andererseits haben sie ein Auge auf die teilnehmenden Pferde. An jedem Vorbereitungsplatz gibt es geschulte Stewards. Sie beobachten die Reiterinnen und Reiter und deren Pferde auf Grundlage des Kriterienkatalogs für den Vorbereitungsplatz. Wird ein Pferd-Reiter-Paar auffällig, muss der Steward eingreifen. Darüber hinaus wird die Ausrüstung der Pferde begutachtet und die Einwirkungsbereiche des Reiters (Maul und Schenkellage) genau inspiziert. Pferdekontrollen und Medikationskontrollen werden von den Tierärztinnen und Tierärzten gemeinsam mit je einem Steward durchgeführt.

 

fn-aktuell: Gibt es bestimmte tierärztliche Kontrollen oder Screenings, die jedes Pferd durchlaufen muss?
Dr. Lagershausen: Wir prüfen zunächst bei jedem Pferd im Equidenpass, ob es korrekt gemäß Leistungsprüfungsordnung (LPO) gegen Influenza geimpft ist. Wenn die Pferde auf die Vorbereitungsplätze kommen, führen die Stewards bei jedem Pferd eine Kontrolle der Ausrüstung durch und beurteilen beispielsweise die Verschnallung des Nasenriemens und bei den Springpferden die Art und Befestigung der Gamaschen. Darüber hinaus werden mehrmals täglich zu unterschiedlichen Zeiten Stallrundgänge von einem Tierarzt gemeinsam mit einem Steward durchgeführt.

 

fn-aktuell: Wie wird während der Veranstaltung sichergestellt, dass die Pferde keine Anzeichen von Überforderung oder gesundheitlichen Problemen zeigen?
Dr. Lagershausen: Dies wird durch die Aufsicht der auf den Vorbereitungsplätzen eingeteilten Stewards gewährleistet. Bestehen Zweifel, wird in der Regel noch ein Tierarzt beratend hinzugezogen. Sollte ein Pferd nicht fit oder überfordert sein, werden die verantwortlichen Personen, Reiter und Trainer, angesprochen. In vielen Fällen herrscht schnell Einigkeit und das Pferd wird freiwillig zurückgezogen. Geschieht dies nicht, wird das Pferd durch den zuständigen Richter disqualifiziert. Auch wenn ein Pferd sich innerhalb der Prüfung überfordert zeigt, müssen die Richter den Ritt abklingeln.

 

fn-aktuell: Gibt es bestimmte Maßnahmen oder Standards, die in den letzten Jahren weiterentwickelt oder neu eingeführt wurden?
Dr. Lagershausen: Es gibt mehr Pferdekontrollen, auf den Al Shira’aa Bundeschampionaten wird der BMLEH Tierschutzpreis an Reiter vergeben, die auf dem Vorbereitungsplatz besonders positiv hervorstechen. Und wir informieren beispielsweise über die „Top 5 Tipps für mehr Hygiene auf dem Turnier“ an den Stallzelten. Außerdem ist der Kriterienkatalog für den Vorbereitungsplatz nach wie vor ein wichtiges Tool, an dessen Kriterien sich jeder Reiter messen lassen muss.

 

fn-aktuell: Wie werden Reiterinnen und Reiter, aber auch Trainer und Besitzer in Fragen der Pferdegesundheit sensibilisiert?
Dr. Lagershausen: Dadurch, dass konsequent von allen Pferden die Korrektheit der Impfungen im Equidenpass geprüft wird, hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass in Warendorf beim Impfschutz keine Kompromisse gemacht werden und auch keine nachträglich eingereichten tierärztlichen Bestätigungen akzeptiert werden. Was bei der Anreise im Equidenpass steht, zählt. Leider müssen wir jedes Jahr einige Pferde wieder nach Hause schicken.
Seit einigen Jahren bitten wir die Teilnehmer zudem, jeden Tag zwei Mal täglich bei iIhren Pferden Fieber zu messen, um gegebenenfalls erkrankte Pferde schnell identifizieren zu können. Im Hinblick auf das pferdegerechte Reiten und das, was die Richter sehen bzw. nicht sehen wollen, gibt es Reiterbriefings, in denen die Reiter sensibilisiert werden.

 

fn-aktuell: Welchen Beitrag leisten die Bundeschampionate Ihrer Meinung nach zur langfristigen Gesunderhaltung von Sportpferden?
Dr. Lagershausen: Idealerweise wird bei den Bundeschampionaten gezeigt, wie wir uns die Vorstellung junger Pferde in Leistungsprüfungen vorstellen, inklusive des gesamten „Drumherums“ von den Kontrollmaßnahmen über die Beurteilung der Stewards bis hin zur Bewertung der Leistungen.
Wird bei der Bewertung darauf geachtet, ob ein Pferd eine Perspektive für einen gesunden, nachhaltigen Sporteinsatz hat?
Die Richter bekommen nur eine Momentaufnahme des Pferdes mit und dennoch rückt eine pferdegerechte, an das Alter der Pferde angepasste Art der Vorstellung immer mehr in den Vordergrund. Zum Beispiel wird auf dem Reitpferdeplatz über das Mikrofon deutlich gesagt, wenn ein Pferd über Tempo vorgestellt wird. Darüber hinaus ist das Exterieur der Pferde Bestandteil der Bewertung. Bei der Kommentierung der Dressurpferde wird klargestellt, dass eine Vorstellung der Pferde mit enger Kopf-Hals-Haltung nicht akzeptabel ist. Bei den Springpferden gibt es Abzüge, wenn ein Pferd einen unnatürlichen, unökonomischen und verkrampften Sprungablauf zeigt.

 

fn-aktuell: Gibt es aus tierärztlicher Sicht bestimmte Entwicklungen, die Sie im Hinblick auf das Training junger Pferde besonders positiv – oder kritisch – bewerten?
Dr. Lagershausen: Positiv: Die Art der Vorbereitung der Pferde hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich zum Positiven entwickelt. Der Grad an Sensibilisierung im Hinblick auf das Tierwohl ist hoch. Ein Beispiel ist die insgesamt niedrige Anzahl der Starts bei den drei- und vierjährigen Reitpferden über das gesamte Jahr hinweg, auch bei denen, die am Bundeschampionat teilnehmen. Das zeigt, dass diese ganz jungen Pferde mit Bedacht eingesetzt werden.
Negativ: Sowohl das zu frühe, in Intensität und Frequenz zu fordernde Training junger Pferde als auch ein sehr später Nutzungsbeginn sind kritisch zu beurteilen. Beide Extreme sind nicht förderlich im Hinblick auf das Ziel eines langfristig gesunden, stabilen und leistungsfähigen Sportpferds.

 

fn-aktuell: Was wünschen Sie sich als Tierärztin für die zukünftige Ausrichtung der Al Shira’aa Bundeschampionate in Bezug auf Tierwohl und Gesundheit?
Dr. Lagershausen: Ich wünsche mir, dass wir weiterhin dazu stehen, junge Pferde zu reiten. Dies muss in Intensität und Frequenz an das junge Pferd angepasst geschehen, denn nur dann kann ein junges Pferd zu einem langfristig gesunden Sportpartner werden.

 

fn-aktuell: Haben Sie aus medizinischer Sicht eine persönliche Botschaft oder Empfehlung an Reiterinnen und Reiter im Umgang mit jungen Pferden im Sport?
Dr. Lagershausen: Jeder Ausbilder muss sich im Klaren darüber sein, dass er eine große Verantwortung trägt. Um eine Überforderung des jungen Pferdes zu vermeiden und langfristig ein gesundes, motiviert mitarbeitendes Pferd zu erhalten, muss je nach Pferd individuell entschieden werden, welcher Weg für das Pferd richtig ist. Kommt eine Teilnahme beim Bundeschampionat für das jeweilige Pferd in Frage oder nicht? Dabei dürfen die Wünsche, Ansprüche und Erwartungen der Besitzer und Züchter nicht die Hauptrolle spielen, sondern das langfristige Wohl des Pferdes muss in den Mittelpunkt gestellt werden.

 

Das Gespräch führte Sabine Gregg.

 

Seit Jahrzehnten sind die Bundeschampionate ein fester Termin im Kalender der deutschen Pferdeszene – und weit mehr als ein nationales Finale der besten jungen Pferde und Ponys aus deutscher Zucht. In Warendorf treffen Spitzenzucht auf Ausbildung, Talente auf Entdecker und vielversprechende Nachwuchspferde auf eine große Bühne. Kaum ein Ort hat so viele spätere Weltmeister, Olympiasieger und Top-Pferde hervorgebracht. Tickets und Infos zu den  Al Shira'aa Bundeschampionten gibt es unter www.bundeschampionate-warendorf.de

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