Tierschutz: Interview mit Soenke Lauterbach

Fragen und Antworten zur Anzeige der FN gegen Unbekannt

 

Warendorf (fn-press). Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) hat bei der Polizei NRW eine mögliche Verletzung des Tierschutzgesetzes angezeigt (siehe Pressemitteilung). In einem ausführlichen Interview beantwortet FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach Fragen zu diesem Vorgehen.

 

Weshalb hat die FN Anzeige gegen Unbekannt bei der Polizei NRW erstattet?
Soenke Lauterbach: Hier geht es um den Vorwurf, dass möglicherweise Personen durch die Anwendung der verbotenen Trainingsmethode des Barrens das Tierschutzgesetz verletzt haben und das vielleicht auch weiterhin tun. Wir, die FN und unsere Landespferdesportverbände, tragen Verantwortung für den Tierschutz im Pferdesport und nehmen diese ernst. Wir nehmen solche Vorwürfe sensibel auf und es ist unsere Pflicht, diesen Vorwürfen nachzugehen. Wir wissen aber weder, wann und wo die Aufnahmen entstanden sind, die RTL vorliegen, noch welche handelnden Personen und genauen Vorgänge darauf zu sehen sind. Darüber lässt uns RTL im Dunkeln. Uns wurde lediglich ein wenige Sekunden langer, verpixelter Video-Zusammenschnitt gezeigt, der für uns in dieser Form keine Schlussfolgerung oder Einschätzung zulässt. Wir erhoffen uns von der Anzeige, dass sich die Behörden im Zuge ihrer Ermittlungen das Videomaterial verschaffen und aufklären, ob hier das Tierschutzgesetz verletzt wurde.

 

Kann die FN nicht auch selbst ein Verfahren einleiten?
Soenke Lauterbach: Ja, das können wir. Voraussetzung dafür ist, dass wir „Zugriff“ auf mutmaßliche Täter bzw. Disziplinargewalt über sie haben, weil diese sich dem FN-Regelwerk unterworfen haben und dadurch der Verbandsstrafgewalt unterliegen. Etwa durch eine Jahresturnierlizenz. Um aber den Sachverhalt daraufhin überprüfen zu können, ob die gezeigten Szenen mit unseren Richtlinien und Regelwerken vereinbar sind, benötigen die zuständigen Verbandsgremien das Bildmaterial, sonstige Beweismittel sowie die Namen von Zeugen und mutmaßlichen Tätern. Unseren mehrfachen Bitten und Aufforderungen, das vollständige Beweismittel vorzulegen, ist die RTL-Redaktion nicht nachgekommen. Wir vermuten, dass es RTL mit seinem Beitrag nicht um das Wohl der Pferde geht oder darum, eventuelles Fehlverhalten aufzudecken, sondern rein um die Skandalisierung der ihnen vorliegenden Szenen.

 

Warum geht die FN mit diesem Thema jetzt an die Öffentlichkeit?
Soenke Lauterbach: Offenbar liegt RTL seit fast einem Jahr Material vor, auf dem vielleicht zu sehen ist, wie gegen unsere Regelwerke und möglicherweise gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wird. Wir werden im Unklaren gelassen, was genau in dem Videomaterial zu sehen ist und in welchem Gesamtkontext der Beitrag erscheinen wird. Es kann nicht sein, dass dieses Material noch länger unter Verschluss bleibt und vielleicht sogar weiterhin Pferden Dinge angetan werden, die ihnen schaden.

 

Ist die Anzeige der einzige Schritt, den die FN in dieser Angelegenheit bislang auf den Weg gebracht hat?
Soenke Lauterbach: Nein. Die Anfrage von RTL hat uns vor Augen geführt, dass es uns trotz aller vorhandenen Formulierungen schwerfällt zu veranschaulichen, abzugrenzen und zu vermitteln, wo der Unterschied zwischen dem erlaubten Touchieren und dem verbotenen Barren liegt. Touchieren ist nicht tierschutzwidrig und fügt dem Pferd keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zu. Um es vom Barren abzugrenzen, ist das Touchieren in den Richtlinien für Reiten und Fahren definiert. Die Methode des Barrens ist gemäß der „Leitlinien zu Umgang mit und Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft verboten. Vor 30 Jahren haben wir, infolge der sogenannten „Barr-Affäre“, mit Hilfe von Pferdesport-Experten, Wissenschaftlern und Tierschutzvertretern eine Definition der erlaubten Trainingsmethode des Touchierens in unsere Richtlinien aufgenommen. Es ist jetzt offensichtlich an der Zeit, diese und auch andere Methoden auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und mit Blick auf gesellschaftliche Akzeptanz erneut zu begutachten sowie unsere Richtlinien und Regelwerke, falls nötig, anzupassen. Denn uns wurde im Zusammenhang mit der Anfrage von RTL deutlich, dass auch zulässige Trainingsmethoden Missbrauchspotenzial bieten, zum Beispiel, wenn sie bei zu jungen Pferden oder nicht fachkundig angewendet werden. Hier wollen wir besser werden.

 

Was heißt das genau?
Soenke Lauterbach: Wir haben eine Kommission eingerichtet, die aus haupt- und ehrenamtlichen Vertreter*innen der Pferdesport- und Zuchtverbände, Trainer*innen und Spitzenreiter*innen der Olympischen Disziplinen sowie Wissenschaftler*innen und Veterinär*innen besteht. Bis zum Ende des Jahres 2021 wird diese Kommission strittige Trainingsmethoden überprüfen und, wo nötig, Vorschläge für Regelwerksänderungen machen. Wir haben in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Einberufung runder Tische und Kommissionen zu bestimmten Themen gemacht, zum Beispiel bei der Erstellung des Kriterienkatalogs für den Vorbereitungsplatz. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass wir hier den richtigen Weg eingeschlagen haben.

 

Was tun Sie, um Verstöße gegen das Tierwohl im Pferdesport zu verhindern?
Soenke Lauterbach: Wir setzen mit unserem Ausbildungssystem, den Richtlinien und Regelwerken darauf, den Menschen zu erklären, was richtig ist und was nicht. Das bringen wir den Menschen von der ersten Reitstunde über Reitabzeichenlehrgänge, die Trainerausbildung bis zum Kaderlehrgang immer wieder nahe. Dort, wo Grenzen überschritten werden, gehen wir mit all unseren Möglichkeiten dagegen vor und sanktionieren Fehlverhalten. Ebenso übergeben wir tierschutzrelevante Fälle an die Strafverfolgungs- oder Veterinärbehörden, damit die Täter auch auf staatlicher Ebene ihre gerechte Strafe erhalten. Wir haben unsere Regelwerke und Richtlinien in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt und tun das weiterhin. Leider gibt es immer wieder Menschen, die sich nicht an unsere Regeln halten und damit unseren gesamten Sport in Verruf bringen. Das werden wir nie ganz verhindern können, aber wir werden weiter konsequent dagegen vorgehen.

 

Weiterführende Informationen

 

Tierschutz im Pferdesport
Für die FN steht das Wohl der Pferde an oberster Stelle. Wir lehnen aggressives Reiten sowie jegliche Trainingsmethoden ab, die dem Pferd Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Die Natur und Bedürfnisse des Pferdes setzen die Maßstäbe und Grenzen, an denen sich unser über Generationen gereiftes Ausbildungssystem und unsere Regelwerke ausrichten. Alle Regelwerke, die Richtlinien für Reiten und Fahren sowie die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes sind auf das Wohl des Pferdes ausgelegt, das Thema Tierschutz zieht sich wie ein roter Faden durch alle Dokumente. Auf staatlicher Ebene geben das Tierschutzgesetz sowie als Auslegungshilfen für den Bereich Pferd die Leitlinien für Pferdesport bzw. Pferdehaltung des BMEL den rechtlichen Rahmen vor.

 

In der Folge der damaligen „Barr-Affäre“ verabschiedete die FN am 2. Mai 1991 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Tierschutzorganisationen und Pferdesport-Experten die „Potsdamer Resolution zur reiterlichen Haltung gegenüber dem Pferd“. Darin enthalten waren unter anderem: Die Benennung von Vertrauenspersonen für den Tierschutz in den Vereinen, die Verdopplung der jährlichen Medikationskontrollen, die Ausrüstung von Veranstaltern mit neuen Materialien für die Beprobung, die Einführung routinemäßiger Pferdekontrollen und die verstärkte Einbindung von Turniertierärzten.
Im Jahr 1995 wurden die „Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes“ formuliert, zu deren Einhaltung sich alle am Turniersport beteiligten Personen verpflichten. Verstöße werden geahndet. Die „Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes“ sind Bestandteil der Ausbildungsrichtlinien und Prüfungsfach in der gesamten Amateur- und Berufsausbildung von Trainern im Pferdesport.

 

Nach den Dopingfällen in den 2000er Jahren wurden die Anti-Doping und Medikamentenkontroll-Regeln (ADMR) eingeführt sowie verbotene Methoden zur Sensibilisierung der Haut definiert und das Trainingskontrollsystem für Kaderpferde zusammen mit der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) etabliert. Auch im ländlichen Turniersport wurde die Anti-Doping-Arbeit stetig weiterentwickelt.

 

Die Regelwerke und Richtlinien der FN werden regelmäßig überarbeitet sowie, wenn notwendig, an neue Erkenntnisse und Entwicklungen angepasst (z.B. im Bereich der Ausrüstung, siehe Hinterbeingamaschen, Schlaufzügel oder den Kriterienkatalog für den Vorbereitungsplatz). Die LPO wurde im Zuge ihrer Überarbeitung zum Jahr 2018 auch von „World Horse Welfare“, der Welt-Tierschutz-Organisation für Pferde, überprüft, die dem Regelwerk der FN im Hinblick auf die Regeln zum Schutz des Pferdes ein sehr gutes Zeugnis ausstellte.

 

Ahndung von Verstößen gegen das Wohl des Pferdes
Die FN wird nicht automatisch darüber informiert, wenn Verstöße gegen das Tierschutzgesetz bei der Polizei oder den Veterinärbehörden angezeigt werden. Wenn wir Kenntnis von einem Verdachtsfall erhalten, versuchen wir, mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten den wahren Sachverhalt zu ermitteln und entsprechende Beweise zu sammeln. Das ist wesentlich einfacher, wenn es sich um Vorfälle auf einem Turnier handelt, weil diese in der Öffentlichkeit stattfinden und dort Maßnahmen wie Aufsicht am Vorbereitungsplatz, Pferdekontrollen und Medikationskontrollen durchgeführt werden. Sofern es sich um Vorfälle außerhalb von Turnieren handelt, sind wir darauf angewiesen, dass die Hinweisgeber Fotos oder Videos vorlegen oder weitere Zeugen benennen können, damit ein Regelwerksverstoß hinreichend nachgewiesen werden kann.

 

Die FN ist ein Sportverband und keine Ermittlungsbehörde. Sie hat auf privaten Reitanlagen keine Ermittlungsbefugnisse. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sollten deshalb dringend bei der Polizei oder dem zuständigen Veterinäramt angezeigt werden. Hinweise auf einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz können aber auch der FN, ihren Landesverbänden oder der Tierschutzvertrauensperson im Verein bzw. im Kreis- oder Landesverband gemeldet werden. Hier sind die Verbände immer auf Mithilfe von Zeugen angewiesen, die Namen, Fotos und Videos zur Verfügung stellen, um diesen Hinweisen nachgehen zu können.

 

Die Konsequenzen, mit denen bei einem Verstoß gegen das Wohl des Pferdes oder gegen das Tierschutzgesetz gerechnet werden muss, sind stark von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Von staatlicher Seite kann ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz als Ordnungswidrigkeit und ggf. sogar als Straftat geahndet werden. Seitens der Pferdesportverbände droht bei einem Verstoß gegen das Wohl des Pferdes eine Sanktion im Rahmen eines Disziplinarverfahrens. Je nach Umständen des Einzelfalles kann ein Ausschluss von der Teilnahme an Turnieren von bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden.

 

PM

Was suchen Sie?

Suchformular