Kopf-Hals-Position im Fokus: Experten bewerten Trainingssituationen
Ein Expertentreffen beleuchtete die Balance zwischen Trainingszielen und Tierwohl. Wissenschaftler und Experten diskutierten in Warendorf über die Kopf-Hals-Position des Pferdes beim Reiten. Ausgangspunkt des Meetings war eine Metaanalyse darüber, was es für Pferde bedeutet in tiefer Kopf-Hals-Haltung geritten zu werden. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN) hatte zu dem Austausch eingeladen.
Kürzlich trafen sich Wissenschaftler und Experten der FN in Warendorf, um sich darüber auszutauschen, was das Reiten hinter der Senkrechten für Pferde für Folgen hat. Was ist noch pferdegerecht? Und wo liegen die Grenzen? Diese Fragen standen im Zentrum des Austauschs. Bei dem Treffen waren Dr. Andrew McLean, Dr. Kathrin Kienapfel, Prof. Dr. Uta König von Borstel, Dr. Henrike Lagershausen, Thies Kaspareit, Markus Scharmann, Dr. Enrica Zumnorde-Mertens anwesend. Sie bewerteten gemeinsam verschiedene Pferd-Reiter-Paare, die ihnen am Bundesstützpunkt vorgestellt worden sind.
Kein pauschales Urteil – aber klare Warnzeichen
Eine im Herbst 2024 veröffentlichte Metaanalyse kommt zu dem Schluss: Geht das Pferd mit der Nase hinter der Senkrechten, wird neben der Einschränkung der Sicht des Pferdes unter anderem auch der Kehlkopfbereich verengt – mit potenziellen Auswirkungen auf die Atmung und das Wohlbefinden des Pferdes. Dabei gibt es natürlich Unterschiede, je nachdem, ob und wie stark der Hals-Ganaschen-Winkel des Pferdes eng wird. Es gibt verschiedene Facetten, angefangen bei einer leichten Beeinträchtigung des Tierwohls bis hin zu einem tierschutzwidrigen Zustand. Entscheidend ist auch, unter welchen Bedingungen dies geschieht. Momente, in denen das Pferd bei feiner Hilfengebung des Reiters vorrübergehend hinter die Senkrechte kommt sind abzugrenzen von Situationen, die geprägt sind von stärkerer Einwirkung des Reiters, bei der das Pferd bewusst und gewollt deutlich hinter der Senkrechten geht.
Sensibilisierung statt Pauschalkritik
Die Expertengruppe war sich einig: Reiterinnen und Reiter müssen stärker für mögliches Unbehagen des Pferdes sensibilisiert werden. Viel zu häufig ist es zur Normalität geworden, dass Pferde hinter der Senkrechten geritten werden – oft ohne kritische Reflexion. Ziel muss es sein, die Nasenlinie immer wieder aktiv an bzw. vor die Senkrechte zu bringen und damit pferdegerechtes Reiten zu fördern.
Auch das Erkennen von sogenanntem Konfliktverhalten – also Reaktionen des Pferdes auf unangenehme Reize – sollte vermehrt geschult werden. Diese Kompetenz ist nicht nur für Reiterinnen und Reiter, sondern auch für Trainer und Richter unerlässlich.
Hinter der Senkrechten – wie umgehen mit dieser Situation?
Wichtig ist eine differenzierte Betrachtung. Während der praktischen Demonstrationen des Treffens zeigte sich: Es gibt Trainingsmomente, in denen das Pferd hinter der Senkrechten geht – selbst bei sensibler Reitweise. Aus FN Sicht ist entscheidend, warum dies geschieht: Handelt es sich um ein junges, noch unausbalanciertes Pferd oder ist der Zustand dauerhaft und durch Krafteinwirkung verursacht? Letzteres ist klar abzulehnen.
Die Fachleute plädierten einstimmig dafür, dem Pferd insbesondere zu Beginn der Arbeit mehr Zeit zum Loslassen zu geben. Statt von Anfang an auf konstante Anlehnung zu drängen, sollte das Pferd die Verbindung zur Reiterhand in Ruhe suchen können. Wenn ein Pferd hinter der Senkrechten geht, ist dies aber der Zeitpunkt genauer hinzuschauen. Ein guter Leitfaden, um die Situation zu bewerten, ist der Kriterienkatalog für den Vorbereitungsplatz.
Blick auf das Ganze – nicht nur auf den Hals
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Ein weiterer Punkt der Diskussion war die Notwendigkeit, den gesamten Körper des Pferdes in die Bewertung der Reitweise einzubeziehen. Für Pferde mit anatomischen Besonderheiten – etwa einem „bergab“ konstruierten Körperbau oder einem schwachen Rücken – individuell abgestimmt auf Alter, Körperbau und Können des Pferdes – sollte die Maßgabe in der Ausbildung sein, angelehnt an die Skala der Ausbildung. Die Wissenschaftler betonten dabei aber, dass jede Kopf-Hals-Haltung mit der Nasenlinie hinter der Senkrechten eine Beeinträchtigung des Tierwohls bedeutet und daher zu keiner Zeit angestrebt werden sollte.
Das Reiten in einer bestimmten Kopf-Hals-Haltung über längere Zeit wurde von allen Anwesenden klar abgelehnt. Es ist weder für das Pferd noch für den Reiter sinnvoll. Stattdessen legten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dar, wie wichtig eine Varianz der Kopf-Hals-Haltung im Training ist, sowohl für das Pferdewohl als auch den Trainingsfortschritt. Abwechslungsreiches Training sowie ein klarer Fokus auf das pferdegerechte Gymnastizieren – individuell abgestimmt auf Alter, Körperbau und Können des Pferdes – sollte die Maßgabe in der Ausbildung sein, angelehnt an die Skala der Ausbildung. Die Wissenschaftler betonten dabei aber, dass jede Kopf-Hals-Haltung mit der Nasenlinie hinter der Senkrechten eine Beeinträchtigung des Tierwohls bedeutet und daher zu keiner Zeit angestrebt werden sollte.
Weitere Gespräche geplant
Bei der Veranstaltung wurden ausschließlich Pferde aus dem Vielseitigkeitssport bewertet. Die Diskussion soll künftig auf Dressur- und Springsport ausgeweitet werden, um ein vollständigeres Bild zu erhalten. Denn eines wurde deutlich: Ein pferdegerechtes Miteinander basiert auf Wissen, Aufmerksamkeit und der Bereitschaft, eigene Routinen immer wieder zu hinterfragen. fn-press/sag