Interview mit FN-Geschäftsführer Dr. Klaus Miesner über die Al Shira’aa Bundeschampionate
Vom 2. bis 7. September locken die Al Shira’aa Bundeschampionate wieder pferdebegeisterte Menschen nach Warendorf. Dabei geht es aber nicht nur um sportliche Erfolge. Die Bundeschampionate sind auch ein Prüfstein für die Qualität der deutschen Pferdezucht und für den Zuchtfortschritt. Warum das so ist und warum Züchter und Zuchtinteressierte unbedingt dabei sein sollten, wenn in Warendorf die vierbeinigen Champions 2025 gekürt werden, darüber spricht FN-Geschäftsführer Dr. Klaus Miesner im Interview.
Was macht die Bundeschampionate aus züchterischer Sicht besonders?
Dr. Klaus Miesner: "Die wichtigste Besonderheit ist, dass es sich um ein Turnier nur für Pferde und Ponys aus deutscher Zucht handelt. Für Züchter und Zuchtinteressierte sind die Bundeschampionate daher eine Standortbestimmung der Nachzuchten der Hengste und der Mutterlinien unserer deutschen Pferdezucht. Nicht umsonst werden die Bundeschampionate ‚Schaufenster von Zucht und Sport“ genannt. Sie stellen eine Verquickung unserer deutschen Pferdezucht mit unserem deutschen Ausbildungs- und Prüfungssystem dar, das bekanntermaßen spezielle Jungpferdeprüfungen enthält, mit denen in erster Linie die Bewegungs- und Springqualität, aber auch Rittigkeit der Pferde und Ponys überprüft werden. Last but not least sind die Bundeschampionate so etwas wie eine deutsche Meisterschaft der Zuchtverbände."
Wie haben sich die Bundeschampionate entwickelt?
Dr. Klaus Miesner: "Vor 50 Jahren gab es in Deutschland noch die klassischen Zuchtschauen, ausgerichtet von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) mit Vormustern an der Hand. Davon wollten die Zuchtverbände in den 70er Jahren weg, hin zu einer Überprüfung der (turnier-)sportlichen Eignung von Pferden. Das erste Bundeschampionat für drei- und vierjährige deutsche Reitpferde gab es vor fast 50 Jahren. Das war 1976 im Rahmen des Turniers der Sieger in Münster. 1979 folgten die deutschen Reitponys, ein Jahr später die fünf- und sechsjährigen Springpferde. 1985 kamen die Springponys, 1990 dann die fünf- und sechsjährigen Dressurpferde und 1987 die Geländepferde neu hinzu. Die ersten Championate fanden alle an unterschiedlichen Standorten, nach Disziplinen getrennt statt. Erst 1987 gab es erstmals eine teilweise Bündelung und 1991 war München dann der erste gemeinsame Ausrichter aller Championate – inklusive des damals neu hinzugekommenen Fahrpferdechampionats. In den Folgejahren ging es nach Verden und Mannheim, bevor sich Warendorf ab 1994 als Ausrichter fest etabliert hat.
Natürlich gab es seither viele weitere Veränderungen. Beispielsweise haben die Fahrpferde-Championate inzwischen in Moritzburg einen neuen Standort gefunden, an dem die Vielfalt an Fahrpferden und -ponys besonders gut zu Geltung kommt. Auch in Warendorf hat sich inhaltlich und sportfachlich einiges verändert, so gibt es inzwischen immer mehr Prüfungen für ältere Pferde. Das Programm für die Springpferde wurde zum Beispiel um einen Großen Preis für Ehemalige erweitert. Das ist einerseits ein zusätzlicher Anreiz für Topreiter, in Warendorf zu starten, und gleichzeitig eine ausgezeichnete Werbung für den nachhaltigen Erfolg ehemaliger Bundeschampionatsteilnehmer."
Hat sich am Verhältnis Sport und Zucht in den letzten Jahren etwas geändert?
Dr. Klaus Miesner: "Auch wenn die sportfachliche Seite gefühlt etwas mehr Gewicht bekommen hat, haben die Bundeschampionate nichts an ihrem züchterischen Wert verloren. Es ist eine erste Standortbestimmung über die Leistungsfähigkeit der jungen Pferdejahrgänge über die Zuchtverbände hinweg, wenn man einmal davon absieht, dass deren Genpool im Laufe der letzten Jahrzehnte immer ähnlicher geworden ist."
Wie haben sich die Bundeschampionate hinsichtlich des Themas Tierwohl, gerade mit Rücksicht auf die Jugend der Pferde verändert?
Dr. Klaus Miesner: "Das Thema Tierwohl hat hohe Priorität. Gerade in den Reitpferde- und Reitponyprüfungen hat sich in den letzten Jahren Zeit sehr viel getan, beginnend mit einer generellen Begrenzung der Anzahl Starts pro Jahr, über eine Verkürzung der Einsatz- und Vorbereitungszeiten bei den Bundeschampionaten bis hin zum äußerlichen Rahmen, in dem die Prüfungen stattfinden. Dank einer veränderten Infrastruktur ist der Reitpferdeplatz viel ruhiger geworden. Darüber hinaus werden die Prüfungsanforderungen regelmäßig überprüft. So wurde für die Dreijährigen schon vor einigen Jahren der Fremdreitertest abgeschafft und die Aufgabe verkürzt. Neu in diesem Jahr ist, dass es für Dreijährige auch kein „Tritte verlängern“ im Trab mehr geben wird. Die Bundeschampionate sind auch gekennzeichnet durch ein klares Bekenntnis zum guten und pferdegerechten Vorbereiten auf die Prüfung. Dafür wird ja beispielsweise auch schon seit Jahren ein Tierschutzpreis ausgelobt, der stellvertretend für das bei vielen Reitern erkennbar gute Abreiten an den Reiter vergeben wird, der besonders heraussticht."
Welche züchterischen Highlights gab es bei den Bundeschampionaten? Welche Pferde sind Ihnen züchterisch besonders in Erinnerung geblieben?
Dr. Klaus Miesner: "Wie schon öfters berichtet, waren eine ganze Reihe ehemaliger Bundeschampionatsteilnehmer später auf Spitzenpositionen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften zu finden. Der Blick in die Siegerlisten der Bundeschampionate zeigt aber auch eine ganze Reihe späterer Topvererber, insbesondere in der Dressur. Beispielhaft genannt seien hier nur die Hengste Rohdiamant (Bundeschampion 1993), Fidermark (1996), Sir Donnerhall (2006), Fürstenball OLD (2011), Benicio (2011), Escolar (2012 und 2013) oder auch Secret (2020) und nicht zu vergessen Quaterback (2006), der im vergangenen Jahr im WBFSH-Hengste-Ranking Platz zwei belegte. Bei den Ponys denke ich an Namen wie Dressman und Dornik B und viele andere mehr. Im Springen und in der Vielseitigkeit sind mir unvergessen der Hengst Stakkato, 1998 umjubelter Star im Warendorfer Parcours, sowie der Trakehner Grafenstolz, der sich 2004 mit Michael Jung im Sattel für alle drei Disziplinen qualifizieren konnte und Bundeschampion in der Vielseitigkeit wurde. Diese Liste ließe sich sicher noch deutlich verlängern."
Gibt es ganz besondere persönliche Erinnerungen?
Dr. Klaus Miesner: "Da gibt es ganz viele Erinnerungen, besonders an die ersten Jahre in Warendorf, als sich die Veranstaltung erst entwickeln musste und die Kommunikation noch analog erfolgte. Generell fühlen sich die Bundeschampionate für mich immer wieder an wie ein großes Familientreffen. Man sieht viele bekannte Gesichter, führt viele Fachgespräche und spürt überall die große Begeisterung für die großartigen Pferde und Ponys. Und wenn irgendwo ein ganz besonderes Pferd oder Pony ausgemacht wird, dann pilgern alle zu deren Startzeit dorthin, egal ob ins Springstadion, an den Reitpferdeplatz, ans Dressurviereck oder auf den Vielseitigkeitsplatz. Hier zählt das Pferd, der Reiter steht eher in der zweiten Reihe. Ich muss gestehen, bis heute bekomme ich ein wenig Gänsehaut, wenn die bekannte Bundeschampionats-Fanfare einen Champion ankündigt. Für uns Warendorfer sind die Bundeschampionate einfach etwas wie eine ‚fünfte Jahreszeit‘."
Zum Abschluss noch die Frage: Warum lohnt es sich für mich als Züchter, in diesem Jahr zu den Al Shira’aa Bundeschampionaten nach Warendorf zu kommen?
Dr. Klaus Miesner: "Der Besuch der Al Shira’aa Bundeschampionate sollte eigentlich ein Muss für jeden Züchter sein, schließlich gibt es hier die besten jungen Pferde und Ponys der Deutschen Pferdezucht zu sehen. Natürlich kann man das auch bei ClipMyHorse – was ja auch gut ist, da es für eine weltweite Bekanntheit der deutschen Pferdezucht sorgt. Aber anders als im Livestream hat man vor Ort die Gelegenheit, die Atmosphäre aufzunehmen, hinter die Kulissen zu schauen, Kontakte mit anderen Züchtern und zu den Zuchtverbänden zu knüpfen und sich persönlich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Das ist durch nichts zu ersetzen, gerade in Zeiten, in denen Kommunikation häufig nur noch über die Sozialen Medien erfolgt.
Und übrigens: Wie immer in den letzten Jahren erhalten die Züchter der genannten Pferde und Ponys freien Eintritt zu den Al Shira’aa Bundeschampionaten und eine Züchterplakette als Erinnerung." fn-press/Hb
Tickets und Infos zu den Al Shira'aa Bundeschampionaten gibt es unter www.bundeschampionate-warendorf.de