Andre Hascher analysiert das Interview von ZDF-Reporter Hermann Valkyser mit FN-Präsident Martin Richenhagen

Das Interview um das es hier geht, finden Sie hier: https://www.zdfheute.de/sport/reiten-reitsport-skandal-schlaufzuegel-kuk...

 

Erfolg steht über allem

 

 

Direkt auf die allererste Frage des ZDF-Reporters Hermann Valkyser, wie der FN Präsident zu dem Video stehe, auf dem Christian Kukuk auf blankem Schlaufzügel reitet, antwortet der Präsident der Deutschen reiterlichen Vereinigung, dass dieser Reiter ein besonders erfolgreicher sei, was sehr gut in seinen reiterlichen Hintergrund passen würde, denn der Stall, in dem er wesentliche Teile seiner Ausbildung genossen habe, sei für einen besonders feinen Reitstil bekannt.
 
Bereits in diesem Zusammenhang ist fraglich, ob diese Einleitung auf die Betrachtung, wie das Pferd in besagtem Video behandelt wird irgendeinen Einfluss hat, welche Medaillen der Reiter schon gewonnen hat, denn wer Erfolg zum Beurteilungsmaßstab macht, setzt in diesem Kontext bereits die gänzlich falsche Maßeinheit an: Wenn Erfolg das Maß der Dinge ist, steht die Ethik schnell zurück.
 
Weiterhin ist zwar korrekt, dass einer der Lehrherren von Herrn Kukuk zwar für seinen Springstil weltweite Berühmtheit erlangt hat, aber ebenfalls in einen großen Medialen Skandal verwickelt war (eigentlich sogar wiederholt).
 
Damals ging es um sogenanntes „Touchieren“ der Pferdebeine über dem Hindernis, in Abgrenzung zu „Barren“, obwohl die Unterschiede für den Laien eher weniger ersichtlich sind. Jedenfalls auch hier eine sehr fragwürdige Methode, die betroffene Pferde mindestens auch psychisch zu manipulieren geeignet ist, dann das Pferd erfährt zielgerichteten Beinkontakt mit taktilen Reizen, obwohl es dazu angesetzt hat, dem Hindernis entsprechend hoch genug zu Springen. Das Pferd verlässt sich auf sein Augenmaß, seine Sinne, die über Jahrmillionen geeignet waren, die Evolution erfolgreich zu meistern und muss dann doch feststellen, dass es, obwohl es hoch genug gesprungen ist, doch mit einem gezielten Reiz am Bein in Kontakt kommt. So etwas macht etwas mit einem Pferd, das verunsichert. Eine geplante, systematische Methode, ein Pferd zu irritieren, um des Erfolges Willen und, je nach Intensität, auch schmerzhaft. Diese Thematik wurde zur Strafanzeige gebracht, ohne dass es zu einer Verurteilung kam.
 
Insofern beginnt die dringend notwendige Stellungnahme des höchstrangigen Vertreters der Dachorganisation für Pferdesport in Deutschland mit Hintergrundinformationen, die zur Sache selbst nicht beitragen. Der Reitsport steckt genau deshalb in einer absoluten Glaubwürdigkeitskrise, weil der objektive Zuschauer von außen den Sport nicht mehr als im Einklang mit dem Tierwohl stehend wahrnimmt und von außen kaum erkennbar ist, dass sich die Branche selbst um die wiederholt auftretenden, systemimmanenten Probleme ausreichend kümmert. Und genau darum geht es – die Probleme der Branche klar benennen, dazu stehen, diese sanktionieren, aufarbeiten und verbessern. Wer könnte das besser, als die FN oder international die FEI?
 
Dem Präsidenten der deutschen reiterlichen Vereinigung sei nachgelassen, dass er nicht hinreichend erklärt hat, dass man sich nicht nur eine stete Verbindung zwischen Pferdemaul und Reiterhand wünscht, sondern vor allem, dass das Pferd nicht mittels mechanischer Einwirkung in eine Form gedrängt wird, die potenziell gesunderhaltendem Reiten widerspricht. Vielleicht sind dies fachliche Details, die am Ende ehr einem Bundestrainer bzw. den Verantwortlichen für Reitausbildung obliegen. Allerdings wirkt die gewählte Formulierung einer „ungewöhnlichen“ Aufnahme nicht der Situation angemessen. Fraglich ist bereits, ob diese Aufnahme überhaupt dem Wortsinn nach „ungewöhnlich“ ist, denn wie wahrscheinlich hat ein Reiter, der so in der Öffentlichkeit auftritt, eine für ihn nicht gewöhnliche Trainingsmethode „erstmals“ in aller Öffentlichkeit ausprobiert?
 
Darüber hinaus wäre doch wohl aber „beschämend“ oder „grob unverständlich“ die deutlich angemessenere Bezeichnung für diesen Schmuddel-Film gewesen.
 
Sehr gut ist, dass Prof. Richenhagen klar ausspricht, dass diese Art der Zäumung in Deutschland nicht erlaubt ist und dass die Regelungen der FEI dazu unklar und dringend zu überarbeiten sind.
 
Sehr gut ist auch, dass Prof. Richenhagen die (fehlende) Reinheit der Gänge der Stute offen ausgesprochen moniert. Dass „der Reiter keinen „positiven“ Eindruck hinterlassen hat“ ist hingegen für den Umstand, dass der Olympiasieger in aller Öffentlichkeit dem bereits massiv wankenden, einst so glanzvollen und harmonischen Pferdesport quasi einen Schlag mit dem Baseballschläger verpasst, gerade in dieser Zeit, eine mehr als unglückliche Formulierung.
 
Der Reporter hakt nach. „Wie genau ist die Position der FN?“
 
Darauf erwidert MR, dass man im Spitzensport auch ein bisschen tolerant sein müsse und akzeptieren müsse, dass auch mal ein Fehler gemacht werde. Wie tolerant denn noch? Tolerant bis zur Unkenntlichkeit? Bei der Unglaubwürdigkeit des Sports sind wir ja schon.
 
Herr Kukuk hat sein Pferd über eine längere Zeitspanne hinweg, mindestens an diesem Tag ethisch absolut nicht akzeptabel behandelt. Hat er sich entschuldigt? Auch beim Publikum? Hat er bisher öffentlich wirklich Einsicht gezeigt oder sich bisher im Schwerpunkt darauf zurückgezogen, dass kein FEI Steward und kein Tierarzt etwas beanstandet habe?
 
Der Präsident weiß auch - so wörtlich - nicht, ob er das Verhalten des Reiters „verwerflich“ nennen würde. Ok? „Eher nicht vorbildlich“ – JA!!! Absolut nicht!
 
Aber MR hat Verständnis, wenn sich die Öffentlichkeit „erregt, wenn da mal etwas nicht so vorbildlich“ ist. Alles klar, diese Formulierung darf sich jeder Leser gerne mal selbst auf der Zunge zergehen lassen.
 
Der Präsident freut sich, dass „Warendorf“ seit einem Jahr einen ganz guten Ruf hat. Offenbar genau, seit er die Geschicke leitet und eine Glaubwürdigkeitskrise des Sports sieht er, konkret im Interview darauf angesprochen, nicht. Wow. Das ist extrem. Die unerschöpfliche Quelle des Optimismus in Zeiten des heftigsten Gewitters, das der Reitsport in Deutschland und weltweit je erlebt hat.
 
Und er führt auch gleich aus warum: „weil sich die FN immer ganz klar zum Tierwohl bekannt hat, in allen Disziplinen“. Bekannt – im Sinne von „immer wieder bekannt gegeben" ganz bestimmt, auch bei der FEI steht das Pferdewohl ja zumindest in jedem Pressetext auch im absoluten Mittelpunkt – wie aber kommt es dann zu der Perlenkette des Grauens immer wiederkehrender Skandale rund um den Reitsport? Hat die FN gar keinen Einfluss auf Ihre Reiter?
 
Auf Nachfrage des Reporters betont der Präsident, dass man im vorliegenden Fall nichts sanktionieren wolle und auch nicht könne. Super heftig. Warum will man nicht? Und warum sollte man nicht können? Ist Herr Kukuk nicht Mitglied des Bundeskaders und unterschreiben Kader-Reiter nicht einen gewissen Verhaltenskodex? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass FN und Bundestrainer da keine Handhabe haben. Will man nicht? Kann man nicht? Ach ja – ich vergaß – beides. Man will nicht und man glaubt nicht zu können. Wurde ja explizit so geäußert.
 
Und der Präsident stellt fest: es handelt sich definitiv nicht um den Tatbestand der Tierquälerei. Woher weiß er das? Befinden über Strafbarkeiten normalerweise nicht Strafgerichte. So ganz angenehm war es für das Pferd von Herrn Kukuk vermutlich nicht, unter Einsatz mechanischen Zwangs seinen Hals hin und her „gewirbelt“ zu bekommen, so schaut zumindest der Gesichtsausdruck des Pferdes aus, aber da sind wir wieder beim Maßstab, bzw. der Maßeinheit, die angelegt werden soll. Derjenige Einzelner oder das Anstandsgefühl der Zuschauer, die Harmonie zwischen Reiter und Pferd von Zwang abgrenzen können oder reicht die Olympia-Medaille von Paris für das Argument – der Reiter ist aktuell erfolgreich, daher scheint er es gut zu machen?
 
Weiterhin sei es eine „Veranstaltung im Ausland gewesen“, daher sehe man keinen Grund, sanktionierend einzugreifen. Entschuldigung? Mitglieder des Bundeskaders vertreten Deutschland doch immer bei internationalen Turnieren. Natürlich sind sie immer und überall auf der Welt gehalten, den Verhaltenskodex Ihres Standes einzuhalten, das wird doch wohl niemand ernsthaft bestreiten.
 
Sehr zum Schmunzeln ist dann die Annahme des Präsidenten, dass es für die FEI eine Gelegenheit sei, einmal nachzudenken, ein „Hallo-wach-Moment“. Ich finde diesen Gedanken von Herrn Richenhagen nicht schlecht, aber es verwundert doch sehr, wie von außen betrachtet alles in Bezug auf das Feld der anderen so logisch erscheint und sich zuhause doch wesentlich harmloser darstellt.
 
Der Aufschrei der Medienwelt ist wahrlich keine Überraschung. Auch Prof. Richenhagen kann sich dann doch am Ende des ZDF-Interviews endlich durchringen, das Video als „Katastrophe“ zu bezeichnen, leider um es dann sofort im nächsten Satz in grob unverständlicher Weise zu relativieren.
 
Und: Es ist sicher nicht leicht, als Präsident einer so wichtigen bundesweiten Vereinigung, wie der FN immer die richtigen Worte zu finden, aber „das Pferd wurde nachher dritter in der Springprüfung, so schlimm kann es gar nicht gewesen sein“,

das war der letzte Satz in der Veröffentlichung des ZDF Interviews, geäußert vom Präsidenten der FN. Herr Prof. Richenhagen: Das kann jetzt nicht Ihr Ernst sein.
 
Das Pferd wirkte am Ende des Videos lahm, nach all dem, was schon an dem Umgang mit ihm vorher so wirklich mitleidserregend war und dann war es nicht so schlimm, weil das treue Wesen immer noch Leistung abgeliefert hat, obwohl der Reiter so mit ihm umgeht?
 
Nein, Herr Richenhagen, ich bin sogar sicher, dass das am Ende nicht Ihr Ernst ist.
 
Mein persönliches Fazit ist: Der Reitsport hat (leider) die größte Glaubwürdigkeitskrise, die man sich überhaupt vorstellen kann, wobei der Grad des Vorstellbaren (ebenfalls leider) meist in kürzester Zeit dann doch wieder auf ein neues Level gehoben wird, weil (leider) dann der nächste Skandal mit Endgeschwindigkeit durch das Fass durchrauscht, dem es schon spätestens seit der Kooperation einer anderen olympischen Größe aus Deutschland mit einem der meist kritisierten Pferdehändler aus Skandinavien den Boden ausgeschlagen hat. Die offiziellen proklamieren in der Außendarstellung unermüdlich, dass das Wohl der Pferde im Vordergrund stehe, bei genauem Hinhören hat man aber eher den Eindruck, dass die Verantwortlichen, die wirklich etwas verändern könnten stets darum bemüht sind, dass unerklärbare erklärbar zu machen, dem Zuschauer von außen quasi zu vermitteln, dass das, was ein Blinder mit Krückstock sieht, sich eigentlich ganz anders, jedoch mindestens als Einzelfall darstellt. Daher stelle ich für mich persönlich fest:
 
Wer Erfolg zum Maßstab von Recht und Unrecht macht, wird sich damit abfinden müssen, dass dieser (eigentlich so schöne) Sport bald unter seinem eigenen Schatten begraben wird. Als großer Pferdeliebhaber sage ich das mit großer Wehmut und meine wirklich: begraben.
 
Prof. Richenhagen: Sie bezeichnen sich selbst als großen Pferdefreund, das lässt hoffen. Bitte greifen Sie durch. Für die Pferde, für den Pferdesport!
 
Autor: Andre Hascher

 

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