"Jede Geschichte zählt und ist wichtig im Kampf gegen sexualisierte Gewalt im Sport"

Interview mit Gitta Schwarz, Mitglied im FN-BetroffenenRat

Vor vier Jahren richtete die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) als erster deutscher Sportfachverband einen BetroffenenRat ein. In diesem Gremium engagieren sich Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben und ihre Erfahrungen direkt in die Weiterentwicklung von Schutzmaßnahmen im Pferdesport einbringen. Einer dieser Menschen, die seit Beginn im BetroffenenRat mitarbeiten, ist Gitta Schwarz. Im Interview erzählt sie, wie die Mitarbeit ihr Engagement geprägt hat, worauf sie besonders stolz ist – und warum sie anderen Betroffenen empfiehlt, sich ebenfalls einzubringen.Was bedeutet Ihnen die Mitarbeit im FN-BetroffenenRat persönlich oder für Ihr Engagement im Pferdesport?Gitta Schwarz: Die erfahrene sexualisierte Gewalt in meiner Jugend machte mich zur „Expertin“. Diese Erkenntnis kam allerdings erst, nachdem ich den Mut gefasst hatte, meine Geschichte zu erzählen. Auch wenn es nicht immer leicht war und ist, meine Expertise in die Arbeit gegen (sexualisierte) Gewalt im Sport einzubringen, bleibt es für mich zu wichtig, den Sport zu einem sichereren Ort und einen angstfreien Platz für die sporttreibenden Kinder und Jugendlichen (wieder) zu machen. Mit Nicht-Betroffenen der Institution, in der ich Gewalt erfahren musste, zu arbeiten, ist nicht immer einfach. Allerdings ist es eine gute Erfahrung auf diesem Weg Menschen kennenzulernen, die den Standpunkt von Betroffenen verstehen wollen und die Regularien und Konzepten umsetzen wollen, dass es möglichst keine neuen Betroffenen mehr geben wird.Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie auf die Arbeit des BetroffenenRats in den letzten vier Jahren zurückblicken?Gitta Schwarz: Die FN hat mit dem BetroffenenRat im Sommer 2021 ein wirkliches Leuchtturmprojekt geschaffen, auf das alle Beteiligten mit Stolz zurückblicken können. Der erste Sportverband zu sein, der sich selbst aus intrinsischen Beweggründen einem Gremium aus Betroffenen stellt, um die Aufgabe der Prävention erfolgreich umzusetzen, war mutig und wurde bewundernd in der Sportöffentlichkeit wahrgenommen. Mich hat es in den vergangenen Jahren mit Stolz erfüllt, Teil dieses Leuchtturms zu sein. Die erfolgreichen Aktionen der Vergangenheit sprechen für sich und bestätigen doch, dass die Entscheidung für einen Betroffenenrat richtig war.Was macht für Sie den Schritt in die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Betroffenheit so bedeutend?Gitta Schwarz: Der Schritt, mit seiner eigenen Betroffenheit offen umzugehen, erfordert Mut. Tatsächlich ist es aber ein gutes Gefühl, sich nicht erklären zu müssen, weil man sich unter Gleichgesinnten befindet. Niemand muss um Glaubwürdigkeit kämpfen, muss nach passenden Worten suchen, die es für die hochkommenden Emotionen oft nicht gibt. Das Miteinander und die Wertschätzung, die ich hier im BetroffenenRat erlebe, geben mir Kraft.Wie erleben Sie die Vielfalt der Perspektiven im BetroffenenRat – und weshalb spielt sie eine so große Rolle?Gitta Schwarz: Die Mitarbeit entfesselt ein Empowerment, das jede*r Betroffene nur in sich selber finden kann. Bei Betroffenen handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe. Das Erlebte, der Umgang damit und der Verlauf der weiteren Geschichte sind so unterschiedlich wie die Menschen an sich. Jede Geschichte ist anders. Jede Geschichte zählt und ist wichtig im Kampf gegen sexualisierte Gewalt im Sport.Darüber hinaus gilt: gemeinsam sind wir Betroffene viel stärker als allein. Es ist aufbauend, sich mit Nicht-Betroffenen auszutauschen, die eine klare gewaltfreie Haltung haben, die offen sind, die Erfahrungen Betroffener in ihre Arbeit einfließen zu lassen, die versuchen zu verstehen, warum eine Formulierung verletzen kann, warum ein Absatz in einer Regelung dazu führen könnte, dass Betroffene sich nicht vertrauensvoll an die Institution wenden.Wie hat sich Ihr eigener Umgang mit dem Erlebten im Laufe der Zeit verändert?Gitta Schwarz: Die erfahrene sexualisierte Gewalt in meiner Jugend machten mich zur „Expertin“. Auf diese Erfahrung hätte ich jedoch gerne verzichtet. Darüber zu reden und mit meiner Geschichte offen umzugehen, schaffte bei mir einen Status, der frei ist von Scham und Verstecken, und machte mich von einer Betroffenen zu einer Entschlossenen. fn-press/Das Gespräch führte Adelheid Borchardt

 

Weitere Informationen zu Maßnahmen der FN, zum Betroffenenrat sowie Kontakte zu Beratungsstellen und Anlaufstellen sind unter www.pferd-aktuell.de/deutsche-reiterliche-vereinigung/verbandspositionen/schutz-vor-sexualisierter-gewalt verfügbar.

 

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