Wenn mir jemand vor ein paar Jahren noch erzählt hätte, ich würde mich in einem Leitartikel einmal fachjournalistisch ernsthaft mit jungen Mädchen beschäftigen, die mit Steckenpferden über den Reitplatz hüpfen – ich hätte ihn für verrückt erklärt. Aber jetzt ist es passiert.
Neulich war ich beim Pferdefestival in Blaubeuren. Das ist ein Turnier für alles, was mit Pferden Spaß macht. Da gab es Prüfungen mit und ohne Sattel, mit und ohne Hund beim Pferd – sogar ohne Pferd, nur mit Hund. Es gab jede Menge fröhliche und gutgelaunte Menschen und Pferde zu sehen. Und Mädchen auf Steckenpferden. Hobby Horsing nennt man es. Verrückt? Ja, aber meistens macht das am meisten Spaß. Ich gestehe, als Kind habe ich nach dem Besuch eines Reitturniers in der Region manchmal einen Besenstiel zwischen zwei Stühle geklemmt und bin darüber gehopst. Wenn die Stange (also der Besenstiel) fiel, habe ich mich mit dem zusammengerollten Programmheft ein bisschen gehauen. Das würde ich heute aus Tierschutzgründen natürlich nicht mehr machen.
In den 80er-Jahren bin ich eine zeitlang dieselben Prüfungen geritten wie ein gleichaltriger junger Hesse. Ich nenne keine Namen. Aber er packte das Dressurreiten, sagen wir, ehrgeiziger an als ich. Sein gestrenger Reitlehrer ließ ihn vor den Prüfungen in der Box zu Fuß die bevorstehende Aufgabe ablaufen. Dabei musste er aufsagen, worauf er bei der Hilfengebung achten musste. Wir haben ihn dafür ausgelacht. Aber er wurde Europameister. Wir nicht.
Was ich damit sagen will: Alle Wege der Reiterei sind gut und richtig, so lange sie den Pferden gerecht werden. Spitzensport ist wichtig, dort sind die Vorbilder. Leistungssport ist wichtig, denn er verlangt und fördert die Tugenden, die jedem Menschen nützen. Solche Spaßveranstaltungen wie das Pferdefestival in Blaubeuren sind wichtig, weil Sport und Spaß Geschwister sind. Da wird Hobby Horsing zum Happy Horsing!
Es war schön in Blaubeuren. Da gab es dicke Pferde, kleine Pferde, verstrubbelte Pferde, lustige Pferde, eigenwillige Pferde. Wir sollten diese Spaßreiter mehr schätzen. Sie sind es, die unseren wunderbaren Sport in der Mitte der Gesellschaft verankern, nicht jene, die mit einem Transporter zum Turnier fahren, der so viel Geld kostet wie eine Eigentumswohnung. Und dort ihr 500 000-Euro-Pferd starten, das einen Sattel im Wert eines Hobby-Pferdes trägt. Nicht falsch verstehen, auch das hat seine Berechtigung. Aber alleine macht das unseren Sport nicht aus. Da bin ich mir sicher.
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Mit reiterlichen Grüßen
Roland Kern
Redaktion Reiterjournal