Klassisches Kuscheln (Editorial Reiterjournal 06/2023)

Foto: Titelseite Reiterjournal 06/2023

Foto: Titelseite Reiterjournal 06/2023

„Ich vergleiche Pferde gerne mit einem Kunstturner, der Freude darüber empfindet, wenn er die schwierigsten Übungen scheinbar mühelos zeigen kann.“ Selten habe ich einen so klugen Satz über den Sinn der Klassischen Deutschen Reitlehre (mit der wir uns in diesem Heft intensiv beschäftigen) gehört wie jenen von Reitmeister Hubertus Schmidt. Und selten so einen, der unverfälscht aus der Praxis heraus formuliert ist. Wer schon einmal die Ehre hatte, ein Sportpferd nach den Grundsätzen dieser Lehre auszubilden, kennt das Gefühl: Wenn ein lustloser Vierbeiner nach und nach gehfreudig und schwungvoll wird oder ein ungestümes Trampeltier lernt, seine Kraft zu bündeln. Wenn sich die Hinterhand senkt und die Maschine losgeht wie zum Start in den Urlaub. Das ist die Droge des Dressurreiters – er will es immer wieder spüren.

 

Das alles geht nicht allein mit Streicheln und Spazierenführen, sondern nur mit durchdachtem Training. Manche nennen es Arbeit, warum auch nicht? Der Kunstturner arbeitet auch für seinen Erfolg. Wer den Sport mit den Pferden verstehen will – und dieses Verständnis zu wecken, ist unser aller Aufgabe! – muss auch die gemeinsame Geschichte von Reiter und Pferd kennen. Das Pferd hat für den Menschen eine Leistung erbracht, altmodisch: ihm einen Dienst erwiesen. Meistens war das sogar überlebensnotwendig: im Krieg, auf dem Feld, vor dem Gespann. So hat sich eine einzigartige Symbiose ergeben. Eine Partnerschaft. Auch eine Abhängigkeit. Ohne diese Geschichte stünde das Pferd heute ausgestopft im Museum, ebenso wie die Kuh, wenn sie keine Milch gäbe.

 

Und so ist die Reitlehre in ihrer heutigen Form entstanden. Sie hat das Ziel, das Pferd in die Lage zu versetzen, lange und gesund seinen Dienst zu verrichten. Von einem klassischen deutschen Pferdekuscheln ist hingegen nicht die Rede. In der Biologie kuscheln keine 600 Kilo schweren Vierbeiner mit zierlichen Zweibeinern.

 

Auch in diesem Heft gibt es wieder zahlreiche Beispiele für einen pferde- und artgerechten Umgang mit den Pferden. Das kann so vielseitig sein! Wir berichten zum Beispiel über Para-Dressur und bewundern die Ausbilder dieser Pferde. Wir haben die Reiterfamilie Andrew in Schriesheim besucht. Und ja, ketzerisch formuliert, wir konnten auch dem letzten Sb-Springen von Weingarten etwas abgewinnen. Jedenfalls haben wir eine gewisse Freude entdeckt bei Pferden, die scheinbar mühelos Höchstleistungen erbracht haben. Wie ein Kunstturner.

 

Die neue Ausgabe des Reiterjournals ist ab Freitag erhältlich und kann hier » online bestellt werden. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

 

Mit reiterlichen Grüßen

 

Roland Kern

 

Redaktion Reiterjournal

Was suchen Sie?

Suchformular